fullscreen: Bilder aus der Weltgeschichte

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einfach, nur berechnet auf den Zweck, den Körper gesund zu erhalten. 
„Nichts Irdisches bedürfen," sagte er, „ist göttlich, und wer 
am wenigsten bedarf, kommt der Gottheit am nächsten." 
Demnach waren in seinen Augen die Menschen der Gottheit am fern¬ 
sten deren Sinn aufgeht im Trachten nach Glanz des Hauses, Fülle der 
Tafel, Pracht der äußern Erscheinung, und als Thor galt ihm derjenige, 
der sich nach Jenen richtete. Ein vornehmer Athener, der ein verschwen¬ 
derisches Hauswesen führte, klagte ihm einst, daß es sich so theuer in Athen 
lebe. Sokrates ging mit ihm in einen Laden, in dem Mehl und Oli¬ 
ven, und darauf in einen anderen, in dem einfache Kleidung billig zu haben 
war. „Siehe," sagte er, „ich finde es überaus wohlfeil in Athen. 
Ein Anderer beschwerte sich über die Mühseligkeiten einer Fußreise, 
die er eben gemacht hatte. „Hat dir dein Sklave folgen können?" fragte 
Sokrates. — „O ja." — „Trug er etwas?" - — „Ein großes 53ün= 
del." — „Der ist wohl recht müde?" — „Durchaus nicht; ich habe ihn 
sogleich wieder mit einem Aufträge hinweggeschickt." — „Siehe," sagte 
Sokrates, „du hast vor deinem Sklaven Vorzüge des Glückes; er hat 
vor dir Vorzüge der Natur. Du bist reich und frei, aber schwach und 
weichlich; er ist arm und leibeigen, aber gesund und stark. Sage: Wer 
ist der Glücklichere von euch beiden?" 
Sokrates war von Natur heftig, aber durch große Achtsamkeit und 
Strenge gegen sich selbst hatte er einen edlen Gleichmnth gewonnen, den 
nichts erschüttern konnte. Durch große Uebung in der Selbstverläugnnng 
wußte er die bösen Regungen seines Herzens niederzudrücken. Als ihm ein 
jähzorniger Mann einen Backenstreich gab, sagte er lächelnd: „Es ist doch 
Schade, daß man nicht voraussehen kann, wann es gut wäre, einen Helm 
zu tragen." Nie sah man ihn verstimmt und mürrisch. Seine Gattin 
Xantippe, die im Grunde des Gemüths nicht böse, aber zanksüchtigen 
Sinnes war, gab ihm zu Geduldsübungen hinreichend Gelegenheit. Eines 
Tages ließ sie auch wieder einmal ihrer bösen Laune freies Spiel und 
schalt ihren Gemahl heftig. Er blieb gelassen. Endlich stand er auf und 
ging hinweg. Das erbitterte sie noch mehr. Sie ergriff ein gefülltes 
Wasserbecken und goß ihm das Wasser nach. „Das wußte ich wohl," 
sagte Sokrates lächelnd, „daß nach einem solchen Donnerwetter auch Re¬ 
gen folgen mußte." 
Der Hauptberuf des Sokrates war die Unterweisung der Jugend 
und des Volkes; allen seinen Mitbürgern suchte er durch gelegentliche Un¬ 
terredungen zu nützen. Er ging in allen seinen Lehren von dem Grund¬ 
sätze aus: ^ Willst du zum Glücke gelangen, so mußt du dich zunächst be¬ 
mühen, weise und gut zu werden; die Grundlage aller menschlichen Tugend 
aber ist: Mäßigkeit, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Sein Glaube 
gewann den Ausdruck: es müsse ein unendlich weises, mächtiges, allwissendes, 
gütiges und gerechtes Wesen vorhanden sein, und es sei die menschliche Vernunft 
nur ein Ausfluß der Weisheit und Güte dieses heiligen Wesens. Als die 
Priester zu Delphi den Ausspruch gethan hatten: „Weise ist Sophokles, 
weiser ist Euripides, aber der Weiseste der Menschen ist Sokrates," 
sagte er, seine Weisheit bestehe darin, daß er wisse, er wisse nichts. — 
Edle Jünglinge von Nah und Fern saßen zu des Weisen Füßen. Er '
	        
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