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Feinde tönen sie herüber, vom Dörfchen im Tal. Ist denn Sonntag
heute? Der ewig gleichförmige Dienst läßt es fast vergessen. Wie,
trägt die Luft nicht auch den Klang von Frauen- und Kinderstimmen
herüber? Richtig, das Dorf ist ja noch bewohnt. Noch gestern
sahen wir das Hin- und Herlaufen, als unsere Artillerie hineinschoß.
Um was sie wohl beten mögen? Um den Sieg ihrer Waffen, um
die Vernichtung ihrer Feinde? Da beten wir mit! Andachtsvoll
lauscht der ganze Graben; jeder zieht ein Neues Testament oder
eine Sonntagspredigt aus der Tasche, jeder spricht mit seinem Gott.
Hier vor dem Feinde lernt jeder beten, Offizier wie Mann. Man
lernt es im Donner der Geschütze, und noch nie habe ich das Tagebuch
eines Gefallenen in der Hand gehabt, das nicht an irgend einer Stelle
die Worte enthielt: Heute habe ich beten gelernt.
„Herr Leutnant,“ beginnt mein Bursche wieder, „den Frieden,
um den wir beten, wir werden ihn wohl nicht mehr erleben! Elf
Landsleute hatte ich im Regiment, als es auszog; zwei leben noch.
Wie lange wird es dauern . . . .“ — „Laß uns ein wenig im Evan—
gelium lesen“, unterbreche ich ihn. Wir blättern und bleiben stehen
an der Stelle: „Den Frieden gebe ich euch, meinen Frieden lasse
ich euch!“ Da fällt mein Blick auf die frischen Kreuze hinter dem
Graben: „Ruhe in Frieden!“ Sie alle hatten auf den Frieden ge—
hofft, sie alle haben den Frieden. Nicht den Frieden, den die Welt
gibt, — den Frieden, Seinen Frieden: „Euer Herz erschrecke nicht
und fürchte sich nicht. Da wird uns so ruhig, so selig ums Herz.
Ein Weilchen noch bleiben wir in stummer Andacht, jeder mit sich
selbst beschäftigt; dann legen wir uns, innerlich ruhig, wieder zur Ruhe.
K. Danzfuß. Garbyer Zeitung, Nr. 141, vom 28. November 1914)
69. Verlassene Häuser.
Als ich gestern meine Außenwachen besichtigte, stieß ich auf ein Reiter⸗
trüpplein. Führer war der behaglich-schneidige Trainrittmeister, der die
Feldbäckereikolonne unter sich hat, ein pommerscher Rittergutsbesitzer, mit
dem ich schon manch lehrreichen Geländeritt hier in Feindesland unter—
nommen habe. Gestern durften wir uns nicht allzu weit ins Land hinaus⸗
wagen. Das Vorgelände wimmelt von feindlichen Kavalleriepatrouillen,
unter denen sich auch Spahis befinden, Radfahrer und Autos mit Maschinen⸗
gewehren. Es reizte uns aber doch, festzustellen, ob das Schlößchen, das so
malerisch da oben im Parkgrünen liegt, bewohnt sei oder nicht. Alsso gab's
einen flotten Galopp die Anhöhe hinauf, über Stoppelfelder, an wunder—
schönen Rübenäckern vorbei. „Potzblitz, ist das ein Garten! Hauptmann
Höcker, die Spalierbirnen! Was? Ist ja zum Bersten, so was! Wenn das
bloß meine Frau sehen könnte!“