Full text: Vaterländisches (1, [Schülerband])

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naturgemäß die Kraft auch eines erfahreuen Fürsten; wenn ihnen also der 
Nachfoͤlger Friedrichs des Großen nicht voll genügt hat, so rechtfertigt dieser 
Umstand doch die Unterschätzung dieses Königs nicht, welcher wir häufig begegnen. 
Friedrich Wilhelm, ein feuriger, genialer Prinz, war von hoher Gestalt, 
männlucher Schönheit und würdevoller Haltung; in seinen edlen Zügen lag der 
Ausdruck freundlichen Wohlwollens; ritterlichen Mutes und gutherzigen Sinnes 
war er idealen Regungen sehr zugänglich. Er hatte Verständnis für die Kunst, 
namentlich für die Musik; Mozart und Beethoven erfreuten sich seiner Gunst; 
seine Kapelle hatte europäischen Ruf. Aber es fehlte ihm freilich auch nicht 
an Mängeln: die weise Sparsamkeit seiner Vorgänger, ihre eiserne Willensstärke, 
ihre unermüdliche Schaffenskraft und Schaffenslust waren ihm fremd. 
Die Thätigkeit Friedrich Wilhelms, als er noch Prinz war, hatte sich vor⸗ 
zugsweise auf das Militärische gerichtet militärisch⸗diplomatische Aufträge seines 
groͤßen Oheims hatte er mit einem gewissen Geschick erledigt, und während des 
baierischen Erbfolgekrieges führte er auch ein Kommando so zur Zufriedenheit des 
Konigs, daß dieser öffentlich zu ihm sagte: »Umarmen Sie mich, mein Prinz, 
Sie sind nicht mehr mein Neffe, Sie sind mein Sohn!« Der Ruf eines edel— 
herzigen und wohlwollenden Fürsten ging Friedrich Wilhelm bei seinem Regierungs— 
aͤntrut voran, und er wurde namentlich von dem in Friedrichs letzten Regierungs— 
jahren herangewachsenen neuen Geschlechte freudig begrüßt, welches, von deutscher 
Bildung durchdrungen, den Schriften eines Voltaire keinen Geschmack ab— 
zugewinnen vermochte, sondern seine Freude an den Werken der Meister der 
euen litterarischen Glanzepoche Deutschlands fand. Von dem neuen Fürsten 
wußte man nämlich, daß er der Bildung seines Volkes nahe stand, daß er sich 
an den Gestaltungen des Götheschen Gensus, an Schillers edlem Pathos erfreute. 
Es war ein Zug der Befriedigung, der durch die Nation ging, als auch deutsche 
Gelehrte von dem Könige zu Mitgliedern der Akademie ernannt wurden. 
Unter der Regierung Friedrich Wilhelms wuchs das Land um nahezu 
2000 Quadratmeilen; es wurde für den König zur Unmöglichkeit, alles selbst zu 
leiten oder auch nur, wie sein Vorgänger, bis in das Einzelne zu überwachen 
er mußte seinen Ratgebern und Vertrauensmännern freiere Hand lassen; unter 
diesen gab es Männer, welchen es an redlichem Willen oder an Einsicht fehlte. 
So konnten Mißgriffe und Irrungen nicht vermieden werden, und da des Königs 
Hand der Strenge abgeneigt war, ließ auch die ängstliche Gewissenhaftigkeit der 
Beamten sehr baͤld nach, die Sparsamkeit hörte auf, und der Schatz, den der 
große König hinterlassen hatte, verschwand in wenigen Jahren. 
Berichtel nun aber auch die Geschichte von mancherlei Schwächen des Königs 
und von gFchlern in seiner inneren und äußeren Politik, so erzählt sie doch auch 
bon des Konigs trefflichen Eigenschaften, von seinem Wohlwollen, seiner Leut— 
seligkeit und seiner ritterlichen Denkungsart. 
Er besaß echten Soldatenmut, den er oft an den Tag gelegt hat. Lange 
hat man sich's im Heer erzählt, wie er im Gefecht bei Bockenheim, als er von 
feinen Generalen gebeten wurde, sich dem feindlichen Kugelregen nicht zu sehr 
auszusetzen, unerschrocken antwortete: »Das hat nichts zu bedeuten; wir schießen 
ja auch wieder.« 
Wie klar er die ihm zugefallene besondere Lebensaufgabe erkannte, bezeugt 
die kurze Ansprache, welche er beim Antritt seiner Regierung an das Offizierkorps 
bon Potsdam richtete. »Wir haben«, sprach er, »einen großen Mann verloren,
	        
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