Full text: Vaterländisches (1, [Schülerband])

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Staaten, die sich den überall in Deutschland stationierten Werbern für ein gutes 
Handgeld verkauften, und die zum großen Teile leichtsinnige, verirrte Jünglinge 
waren, welche keinen anderen Weg mehr vor sich sahen, sich ihren Lebensunterhalt 
zu schaffen. Hatten die Geworbenen dem Könige den Eid der Treue geschworen, 
so waren sie — Soldaten. Nicht Vaterlandsliebe war die Triebfeder ihrer 
Handlungen, nicht der höhere Sinn für Ehre und Pflicht. Nur Furcht vor 
Strafen und die strengste Disziplin waren im stande, sie in Ordnung zu halten. 
Der König erkannte die vorhandenen übelstände sehr wohl und setzte gleich nach 
dem Frieden am 25. Juli 1807 eine „Militär⸗Reorganisations -Kommission« ein 
um das Heerwesen auf völlig neuer Grundlage einzurichten. Mit großer Einsicht 
wählte er die tüchtigsten und talentvollsten Männer seines Heeres zu Mitgliedern 
derfelben. Diese Offiziere, bis dahin in untergeordneten Stellungen, kamen jetzt 
erst zur Geltung und zeigten sich nachmals den berühmtesten Marschällen Napoleons 
mehr als gewachsen. Gneisenau, Grolman, Boyen saßen in dieser Kommission, 
Slein und Clausewitz gingen mit ihr Hand in Hand, ihr Haupt aber und 
gleichsam die Seele der großen Reform, welche sie vornahm, war Scharnhorst. 
Waͤre es möglich«, schreibt dieser in einem Briefe an Clausewitz, »nach einer Reihe 
von Drangsalen, nach Leiden ohne Grenzen aus den Ruinen sich wieder zu er— 
heben, wer würde nicht gern alles daran setzen, um den Samen einer neuen 
Frucht zu pflanzen, und wer würde nicht gern sterben, wenn er hoffen könnte, 
daß sie mit neuer Kraft und Leben hervorginge! Aber nur auf einem Wege 
ist dies möglich. Man muß der Nation das Gefühl der Selbständigkeit einflößen, 
man muß ihr Gelegenheit geben, daß sie mit sich selbst bekannt wird, daß sie 
sich ihrer selbst annimmt; nur dann erst wird fie sich selbst achten und von 
anderen Achtung zu erzwingen wissen. Darauf hinzuarbeiten, das ist alles, was 
it können. Vie Baude des Vorurteils lösen, die Wiedergeburt leiten, pflegen 
und sie in ihrem freien Wachsstum nicht hemmen, weiter reicht unser Wirkungs— 
kreis nicht.« 
Waren die Mitglieder der Kommission in mancher Hinsicht sehr verschieden, 
an uneigennütziger Vaterlandsliebe, an hingebendem Eifer für das ihnen über— 
tragene Reformwerk glichen sie alle einander Der König selbst zeigte sich nicht 
allein willig, in die Entwürfe der Kommission ohne Vorurteil einzugehn, er 
gab auch — nach Scharnhorsts eigenen Worten — »sehr viele, den neuen Ver— 
hältnissen angemessene Ideen selbst an«. 
Zunächst galt es, den Offizierstand von allen unwürdigen Elementen zu 
reinigen, die unbrauchbaren und überalterten Führer zu beseitigen, tüchtige jüngere 
Kraͤfte nach Möglichkeit heranzuziehen. Die Soldaten erhielten eine einfachere, 
zweckmäßigere Kleidung, Zopf, Locken und Puder wurden verbannt, gutes Aus— 
rüstungsmaterial beschafft, die Heereskörper in eine beweglichere Gestalt gebracht. 
Das Werben im Auslande hörte auf, statt dessen sollten fortan alle dienstfähigen 
Sohne Preußens zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren zur Verteidigung 
des Valerlandes verpflichtet sein, der Kriegsdienst den Charakter einer 
allgemeinen patriotischen Pflicht erhalten. 
Am Geburtstage des Königs, am 3. August 1808, erschienen die Ver— 
ordnungen, welche die Grundlage der neuen Kriegseinrichtungen enthielten, in 
denen Preußen die Rettung aus französischer Knechtschaft, die Herstellung des 
allen Ruhmes und seine Erhebung zu einer der ersten Kriegsmächte Europas ge— 
funden hat. Durch die neuen »Kriegsartikel« wurde die Strafe des Gassenlaufens
	        
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