— 154 —
Wie er hieß die Kindlein kommen, wie er hold auf sie geblickt
und sie in den Arm genommen und sie an das Herz gedrückt;
Wie er Hülfe und Erbarmen allen Kranken gern erwies
und die Blöden und die Armen seine lieben Brüder hieß;
Wie er keinem Sünder wehrte, der bekümmert zu ihm kam;
wie er freundlich ihn bekehrte, ihm den Tod vom Herzen nahm.
Immer muß ich wieder lesen, les' und weine mich nicht satt,
wie er ist so treu gewesen, wie er uns geliebet hat.
Hat die Herde mild geleitet, die sein Vater ihm verliehn;
hat die Arme ausgebreitet, alle an sein Herz zu ziehn.
Laß mich knien zu deinen Füßen, Herr, die Liebe bricht mein Herz;
laß in Thränen mich zerfließen, selig sein in Wonn' und Schmerz.
Luise Sensel.
183. Die Kapelle.
Droben stehet die Kapelle, stille sind die frohen Lieder,
schauet still ins Thal hinab; und der Knabe lauscht empor.
drunten singt bei Wies' und Quelle Droben bringt man sie zu Grabe,
froh und hell der Hirtenknab. die sich freuten in dem Thal.
Traurig tönt das Glöcklein nieder, Hirtenknabe! Hirtenknabe!
schauerlich der Leichenchor; dir auch singt man dort einmal.
Ludwia Uhland
184. Über das Gebet.
Lieber Andres. Es ist sonderbar, daß du von mir eine Wei—
sung übers Gebet verlangst; und du verstehst'ss gewiß viel besser
als ich. Du kannst so in dir sein und auswendig so verstört und
albern aussehen, daß der Priester Eli, wenn er dein Ortspfarrer
wäre, dich leicht in bösen Ruf bringen könnte. Und das sind gute
Anzeigen, Andres. Denn wenn das Wasser sich in Staubregen zer—
spliktert kann es keine Mühle treiben, und wo Klang und Rumor
an Thur und Fenstern ist, passiert im Hause nicht viel.
Daß einer beim Beten die Augen verdreht u. s. w., finde ich
eben nicht nötig, und halt ich's besser: natürlich! Indes muß man
einen darum nicht lästern, wenn er nicht heuchelt; doch daß einer
groß und breit beim Gebet thut, das muß man lästern, dünkt mich,
ünd ist nicht auszustehen. Man darf Mut und Zuversicht haben,
aber nicht eingebildet und selbstklug sein; denn weiß einer sich selbst
zu raten und zu helfen, so ist ja das kürzeste, daß er sich selbst
hilft. Das Händefalten ist eine feine äußerliche Zucht und sieht so
aus, als wenn sich einer auf Gnade und Ungnade ergiebt und's
Gewehr streckt. Aber das innerliche heimliche Hinhängen, Wellen—
schlagen und Wünschen des Herzens, das ist nach meiner Meinung
beim Gebet die Hauptsache, und darum kann ich nicht begreifen
was die Leute meinen, die nichts vom Beten wissen wollen. Ist
eben so viel, als wenn sie sagten, man solle nichts wünschen, oder
man solle keinen Bart und keine Ohren haben. Das müßte jarn