III. Heimatliche Sage und Geschichte. 139
dieses Jahres fällige Pflicht eins mit dem andern aufbrächten. Die aber
wurden ungeduldig und dachten auf Gelegenheit und Mittel, wie sie ihr Joch
ablegen und ihre alte Freiheit wiedererlangen könnten. Solches ist ihnen ge⸗
lungen auf diese Weise.
Als sie am, St. Martinsabend das Korn auf die Burg bringen sollten,
schickten sie erst einige Wagen mit vollen Säcken voran. Auf den übrigen
Wagen verbargen sich starke Männer, in und unter die Säcke, und nebenher
gingen nicht weniger starke, als wenn sie das Korn abladen wollten. Sie
fuhren eilends hinter einander her; bald war der Burgraum voll, und etliche
hielten, wie verabredet war, unter dem Thore, damit dieses nicht gesperrt
würde. Als nun die vorderen Wagen abgeladen wurden und der Graf nichts
Arges vermutete, erscholl von hinten her das Losungswort:
„Röhret de Hände,
snidet de Sacksbände!“
Da schnitten sich die Verborgenen heraus; die Wagenführer und die Sackträger
rotteten sich mit ihnen zusammen und mit ihren langen Messern bewaffnet,
fielen sie über die Leute in der Burg her und ermordeten alle. Die Gräfin
aber ergriffen sie und warfen sie in das fließende Wasser, das bis auf den
heutigen Tag nach ihr die Wolbersau heißt. Den Grafen aber suchte man
überall vergebens. Als man nun das Schloß schleifte und zerstörte und schon
der dritte Tag da war, da bemerkte man, daß die Elster, die der Graf gezähmt
und zur Kurzweil immer bei sich gehabt hatte, vor einem verborgenen Gange
saß und immer seinen Namen rief. Da zog man ihn hervor, erstach ihn und
riß vollends alles nieder, daß weiter keine Spur nachgeblieben ist als der
große Ringwall, der heutzutage den Burger Kirchhof einfaßt.
Karl Müllenhoff.
158. Der treue Küchenjunge.
E östlichen Holstein lag einst das feste Schloss NMenslag, das mit drei-
fachem Wall und Graben umgeben war, und dabei lag ein See. Hier
wohnte ein Herr von Ranzau. Als aber einst die Menden es hart bedrängten
und eine Verteidigung nicht länger möglieh war, entwieh der Graf heimlich,
um nur sein Leben zu retten, schwamm über den See und liess die Burg
und seine Leute im Stieh und dazu seinen einzigen jungen Sohn. Da unter-
handelte die Mannschaft mit dem Peinde, übergab die Burg mit allem, was
darauf war, und erhielt freien Abzug, ohne etwas mitnehmen zu dürfen.
Nur ein kleiner, schwäohlicher Junge, der immer mit in der Kücehe geholfen
hatte, erhielt zuletzt auf seine inständige Bitte die Erlaubnis, so viel mit-
zunelmen, als er tragen könne. Da ging der treue Junge hin, wo er den
Sohn seines Herrn versteckt hatte; — die beiden waren immer Spielkameraden
und gute Freunde gewesen, — und er nahm ihn auf seine Schultern, trug
bu bhinaus und rettete ihn. Karl Mullenhoff nach Heinr. Ranzau.