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in den brasilischen Urwald gefolgt, der die Abhänge des großen Randgebirges
an der Ostküste Südamerikas bedeckt. Südlich von diesem Waldgebirge
beginnen die Campos, ungeheure Grasländer, die im spanischen Süd—
amerika Pampas genannt werden. Der Anblick eines Campo ist überall
derselbe. So weit das Auge reicht, eine weite Grasfläche; nur hier und
da eine elende Hütte am Rande eines kleinen Gebüsches, das wie eine grüne,
schattige Insel in dem unendlichen Grasmeere liegt. Überall weidende
Viehherden, und in weiter, weiter Ferne die dunstumlagerten Züge eines
Gebirges — alles überflutet von dem strahlenden Lichte der Sonne,
das sich tausendfach bricht in den schmutzigen Wassertümpeln, deren Rand
unzählige Viehspuren bedecken, wie in den kleinen Lachen mit dunkeln
Binsen und Röhricht, daraus der Kiebitz mit gellendem Schrei aufflattert.
Der Campo ist das Reich der Viehzüchter, deren Herden von den
Gauchos* bewacht werden. Den breiten Hut auf dem Kopfe, die schweren
Sporen an den Hacken der weiten Stiefel, den gerollten Lasso zur Rechten
am Sattelknopf, Messer und Pistole im Gürtel — das ist der Gaucho, ein
wetterharter und unbändiger Gesell.
2. Die deutschen Bauern sind nur in geringer Zahl auf dem Kamp
ansässig geworden; sie zogen in den Wald, der ihnen alles bietet, was sie
zum Leben brauchen. Moosbewachsene, schlanke Säulen ragen in dem
Dome des Urwalds auf; üppige Farne wuchern im Schatten der immer—
grünen Laubbäume, und das bunte Volk der Orchideen leuchtet von den
Asten, die durch Schlingpflanzen in kühnem Schwunge verbunden sind.
Fein wie luftige Spinngewebe ziehen sich diese von Stamm zu Stamm,
und die schwanken Wipfel schlanker Palmen ragen tiefgrün aus dem Wirrsal.
Dieser Wald war einst die Heimat großer und mächtiger Indianerstämme;
aber heute sind diese aus dem Süden Brasiliens verschwunden, und nur
in nördlicher gelegenen Ländern werden die deutschen Ansiedler noch hin
und wieder von den Eingebornen belästigt.
Durch den Urwald wurden für die Einwanderer Straßen geschlagen,
an denen rechts und links die Bauernhöfe liegen. Ein deutsches Dorf in
Brasilien besteht daher aus einer langen Zeile von Anwesen, die zumeist
dem Laufe eines Flusses folgen. In der Landessprache Brasiliens, dem
Portugiesischen, heißt eine solche Waldstraße »Picada«, und deshalb nennen
auch die deutschen Bauern ihr Dorf meistens „Pikade“. Man darf aber
nicht glauben, daß sich der deutsche Bauer im gewöhnlichen Leben der
portugiesischen Sprache bedient; er versteht nur die allernotwendigsten
* spr. Ga⸗utschos.