A. Alte Sage und Geschichte. J. Griechische Sagen.
Jetzt wollte sie doch sehen, wie der entscheidende Kampf um sie
enden werde, und bestieg deshalb den Ort auf der Mauer, wo die
Greise saßen. Ihre Schönheit entzückte selbst diese ehrwürdigen Alten,
und sie verglichen ihr Ansehen dem einer unsterblichen Göttin. Priamus
aber, als er sie sah, rief ihr freundlich entgegen;
„Komm doch näher heran, mein Töchterchen! Hier setze dich zu
mir, da kannst du sie alle sehen, deinen ersten Gemahl und deine
lieben Verwandten! Weine nicht, du trägst ja nicht die Schuld; das
ist eine Fügung der Götter, daß es so hat kommen müssen!
Nun aber sage mir, Tochter, die Namen der Helden, die mächtig
dort über allen hervorragen.“ Und Helena zeigte ihm den Agamem
non, den Odysseus und den Ajax und rühmte ihren Sinn und
ihre Thaten.
Da erschien Hektors Bote, den greisen König ins Lager der Griechen
zu holen. Sogleich bestieg er den Wagen und fuhr zum Thore hinaus
ins Feld, wo die feindlichen Heere sich gegenüber lagerten. — Dort
schlossen er und Agamemnon einen feierlichen Vertrag im Namen der
Völker und sie besiegelten ihn durch einen Schwur: „Wenn etwa Paris
den König Menelaus erlege, dann sollte er die Helena und ihre Schätze
behalten; fiele er aber selbsi im Kampfe, so sollten die Troer das Weib ent
lassen und sämtliche Schätze zurückgeben und eine gerechte Buße zahlenm.“
Priamus aber kehrte, nachdem er geschworen hatte, in seine Sladt
zurüch damit er nicht etwa den Tod seines Sohnes mit ansehen muffe
Hektor und Odysseus, die Ordner und Hüter des Kampfes, maßen
unun den Kampfplatz ab und warfen zwei Lose in einen Helm, eines
für Menelaus, das andere für Paris, um zu entscheiden, velcher von
beiden den ersten Wurf mit der Lanze thun sollte. Hektor schüttelte,
rückwärts gewandt, den Helm — das waͤr die alte Art zu losen —,
bis eines der Lose herausflog. Es war des Paris Los.
Sogleich traten die Umstehenden alle weit zurück und setzten sich
ringsum nach der Ordnung nieder. Paris, ganz in blinkendes Er,
gerüstet, auf dem Haupte den undurchdringlichen Helm mit dem
wallenden eeee in den Händen Schwert und Schild und
Speer, trat von dieser, Menelaus von jener Seite hervor in die Mitte
der beiden Völker. Sie schüttelten zornig ihre Waffen, und zuerst
mit heftigem Schwunge warf Paris seinen Wurfspieß auf den Gegner.
Aber achl! er traf den eisernen Beschlag an Menelaus' Schilde, die
Spitze bog sich krumm, und der Speer fiel kraftlos zur Erde.
„Nun, allwaltender Zeus,“ rief Menelaus, „so verleihe mir Kraft,
den Jüngling zu strafen, der an mir so bitter gefrevelt hat damit jeder
gewarnt werde vor Entweihung des heiligen Gastrechts!“ Sprach's und
schmetterte ihm mit gewaltigem Wurfe die Lanze auf den Leib daß sie
den Schild durchbrach und gewiß ihm ins Herz gedrungen wäre, hänte
nicht Paris rasch sich gewendet. Aber indem er noch in der Bestürzung
auf seinen Schild sah, sprang Menelaus mit entblößtem Schwerte auf
ihn ein und führte einen so kräftigen Streich auf seinen Kopf daß er
ihm sicher den Schädel gespalten hätte, wäre nicht an der Härte des
Helms die spröde Klinge in Stücke zersprungen. Da knirschte Menelaus