150 B. Lyrisch epische Poesie. VI. Erzählungen, Balladen, Romanzen.
94. Das alte Haus.
Von Friedrich Hebbel. Gedichte. Sltutltgart, 1857.
1. Der Maurer schreitet frisch heraus, 6. Noch lange Jahre kann ich stehn,
Er soll dich niederbrechen; Bin fest genug gegründet;
Da ist es mir, du altes Haus, Und ob sich mit der Stürme Wehn
Als hörte ich dich sprechen: Ein Wolkenbruch verbündet:
„Wie magst du mich, das lange Jahr' Kühn rag' ich wie ein Fels empor,
Der Lieb und Eintracht Tempel var, Und was ich auch an Schmuck verlor,
Wie magst du mich zerstören? Gewann ich's nicht an Würde?
2. Dein Ahnherr hat mich einst erbaut 7. Und hab' ich denn nicht manchen
Und unter frommem Beten Saal
Mit seiner schönen, stillen Braut Und manch geräumig Zimmer?
Mich dann zuerst betreten. Und glänzt nicht festlich mein Portal
Ich weiß um alles wohl Bescheid, In alter Pracht noch immer?
Um jede Lust, um jedes Leid, Noch jedem hat's in mir behagt,
Was ihnen widerfahren. Kein Glücklicher hat sich beklagt,
3. Dein Vater ward geboren hier Ich sei zu klein gewesen.
In der gebräunten Stube; 8. Und wenn es einst zum letzten geht
Die ersten Blicke gab er mir, Und wenn das warme Leben
Der muntre, kräft'ge Bube. In deinen Adern stille steht,
Er schaute auf die Engelein, Wird dies dich nicht erheben:
Die gaukeln in der Fenster Schein, Dort, wo dein Vater sterbend lag,
Dann erst auf seine Mutter. Wo deiner Mutter Auge brach,
4. Und als er traurig schlich am Stab Den letzten Kampf zu ftreifen?“
Nach manchen schönen Jahren, . Nun schweigt es slill, das alte Haus;
Da hatt' er schon, wie still ein Grab, Mir aber ist's als schritten
In meinem Schoß erfahren. Die toten Geister all heraus,
In jener Ecke saß er da, Um für ihr Haus zu bitten,
Und stumm und händefaltend sah Und auch in meiner eignen Brust,
Er sehnlich auf zum Himmel. Wie ruft so manche Kindeslust:
5. Du selbst — doch nein, das sag' ich Laß stehn das Haus, laß stehen!
nicht, 10. Indessen ist der Mauermann
Ich will von dir nicht sprechen; Schon ins Gebälk gestiegen;
Hat dieses alles kein Gewicht, Er fängt mit Macht zu brechen an,
So laß nur immer brechen! Und Stein und Ziegel fliegen.
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein; Still, lieber Meister, geh von hier!
Zerstöre du den Tempel sein, Gern zahle ich den Täglohn dit,
Damit es endlich weiche! Allein das Haus bleibt stehen.
95. Der alte Bergmann.
Von Albert Knapp. Gedichte. Stuttgart und Tübingen, 1857.
Gerufen ward ich einst zu einem Greis, Sein Morgenlied anstimmte, weit erscholl.
Zu einem Bergmann. Elend fand ich ihn: Ich sah ihn an — ein alter Felsenmann
Die Wangen hohl, die Locken grau und 10 Mit strengen Zügen, der mcht schmei
weiß, cheln kann.
Das Auge sinkend bis zum Tode hin; Er sprach unaufgerufen eine Beicht',
Doch kräftig noch die Stimme, die so voll Die Arm' ausbreuend und im Donnerton,
Einst mit dem ersten Hahnenschrei, wenn er Daßmir's erschütternd, unerhört gedeucht.
Zur Grube ging und herzlich noch vorher So manche Sundenbeichte hört' ich schon,