299 Dramatische Poesie.
Drauf führte mit der Art?
Tell Wer sagt das, Knabe?
Walther. Der Meister Hirt erzählt's. — Die Bäume seien
Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,
45 Dem waͤchse seine Hand heraus zum Grabe.
Tell. Die Baͤume sind gebaͤnnt, das ist die Wahrheit.
— Siehst du die Firnen dort, die weißen Hörner,
Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?
Walther. Das ind die Gletscher, die des Nachts so donnern
50 Und uns die Schlaglawinen niedersenden.
Tell. So ist's, und die Lawinen hätten längst
Den Flecken Altorf unter ihrer Last
Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht
Als eine Landwehr sich dagegen stellte.
55 Walther qag einigein Besmen. Giebt's Länder, Vater, wo nicht Berge sind?
Tell. Wenn man hinuntersteigt von unsern Höhen
Und immer tiefer steigt den Strömen nach,
Gelangt man in ein großes ebnes Land,
Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,
60 Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn;
Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen;
Das Korn wächst dort in langen schönen Auen,
Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.
Walther. Ei, Vater, warum steigen wir denn nicht
65 Geschwind hinab in dieses schöne Land,
Statt daß wir hier uns ängstigen und plagen?
Tell. Das Land ist schön und gütig wie der Himmel;
Doch die's bebauen, sie genießen nicht
Den Segen, den sie pflanzen.
Walther. Wohnen sie
70 Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?
Tell. Das Feld gehört dem Bischof und dem König.
Walther. So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?
Tell. Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.
Walther. Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom⸗
75 Tell. Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.
Walther. Wer ist der König denn, den alle fürchten?
Tell. Es ist der eine, der sie schützt und nährt.
Walther. Sie können sich nicht mutig selbst beschützen?
Tell. Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.
80 Walther. Vater, es wird mir eng im weiten Land;
Da wohn' ich lieber unter den Lawinen.
Tell. Ja wohl ist's besser, Kind, die Gletscherberge
Im Rücken haben als die bösen Menschen. GSie wollen vorübergehen.)
Walther. Ei Vater, sieh' den Hut dort auf der Stange!
Tell. Was kümmert uns der Hut! Komm, laß uns gehen!
¶Indem er abgehen will, tritt ihm Frießhardt mit vorgehaltener Pike enkgegen.)
Frießhardt. In des Kaisers Namen! Haltet an und steht!
Zell en n die du. Was wollt Ihr? Waͤrum haltet Ihr mich auf?
Frießhardt. Ihr habt's Mandat verletzt; Ihr müßt uns folgen.
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