Full text: [Tertia, [Schülerband]] (Tertia, [Schülerband])

Curtius: Die olympischen Spiele. 265 
als Geistesbildung, Schärfe des Urteils, Übung in den Künsten der Musen. 
Darum siand neben der Musik die Gymnastik, um von Geschlecht zu Ge— 
schlecht eine an Leib und Seele gesunde Jugend zu erziehen, und deshalb 
wurde überall die von den Vätern üherlieferle Sitte gymnastischer Übungen 
vom Staate geordnet und gefördert. Offentliche Gymnasien mit großen, son⸗ 
nigen Übungsplätzen, von Hallen und Baumreihen eingeschlossen, meistens vor 
den Thoren in ländlicher Umgebung angelegt, durften in keiner hellenischen 
Sladt fehlen. Wer nach Ansehen und Einfluß unter seinen Mitbürgern strebte, 
mußte bis zur Vollendung männlicher Reife den größten Teil seiner Zeit in 
den Gymnafien zugebracht haben, und in manchen Städten war es ausdrücklich 
Gesetz, daß niemand in die Bürgerschaft aufgenommen werden durfte, der 
nicht die ganze Reihe gymnastischer Übungen vollendet hatte. Den Eifer für 
diefe Übungen erhöhle der Ehrgeiz. Die Gymnasien boten den Knaben und 
Jünglingen tägliche Gelegenheit, die wachsenden Kräfte an einander zu messen; 
der Welteifer steigerte sich, wenn bei festlichen Anlässen das Volk sich versam— 
melte, den Wettkämpfen männlicher Tüchtigkeit und Jugendkraft zuzuschauen. 
Wohl gab es keine Auszeichnung, welche so mühselige Ausdauer vieler Jahre, 
so viel Aufwand an Kraft und Zeit, so viel Entbehrung und Schmerzen for— 
derte. Aber die Hellenen haben nie die Freude des Lebens in träger Behag— 
lichleit gesucht; sie fühlten lebendig, daß eine freie, alle Muskeln anspannende 
Bewegung des Körpers in Luft und Sonnenlicht jeden gesunden Menschen freudig 
belebt und mit innerer Heiterkeit erfüllt. Darum waren die Festspiele für die 
Hellenen die höchste Lust des Lebens; sie konnten sich auch die Inseln der 
Seligen nicht ohne Ringplätze denken, und als einst die Zehntausend nach un— 
säglichen Mühseligkeiten aus dem Innern Asiens endlich wieder an das Gestade 
des Meeres gelangt waren, nach dem sich ihr griechisches Herz gesehnt hatte, 
da war das erste, was sie zum Danke gegen die Götter und zur Erquickung 
ihrer ermatteten Seelen vornahmen, daß sie vor den Thoren von Trapezunt 
Kampfspiele anstellten; sie waren wieder Griechen auf griechischem Boden, und 
alles Ungemach war vergessen. Es gab keine größeren Götterfeste ohne Fest⸗ 
spiele; aber die olympischen übertrafen nach Pindars Worten alle anderen so, 
wie das Quellwasser die Schätze des Erdbodens und wie das Gold die Güter 
des Reichtums. 
Wo der MApheios aus den engen Felsthälern Arkadiens in das niedrige 
Küstenland von Elis eintritt, wird ex von waldreichen Höhen eingefaßt, zwischen 
denen er in breiten, vielgewundenen Strömungen hinfließt. Das nördliche 
Ufer nannten die Alten Olhmpos, ein Name, mit dem die ältesten Einwohner 
die heiligen Gipfel des Laudes bezeichneten. Eingeborne Pelasger haben 
hier gewohnt und ihren Zeus verehrt. Die Sage nennt einen alten König 
Hinomaos und Pisa als die Hauptstadt seines Reiches. Gleichzeitig mit der 
Wanderung der Dorier, welche achtzig Jahre nach dem Falle Trojas in den 
Peloponnes eindrangen, kamen ätolische Stämme über den Meerbusen von 
Korinth, und während jene im Süden und Osten auf dem Boden von Aga— 
memnons Herrschaft neue Staaten einrichteten, besetzten diese das westliche Ufer— 
land der Halbinfel und gründeten unter ihrem Führer Oxilos den Staat Elis. 
Da aber die Eleer sich bald immer enger an die dorischen Spartaner an— 
schlossen und diese in sich den Beruf fühlten, die in viele Stamm⸗ und Stadt— 
gebiete zerrissene pelopounesische Halbinfel zu einigen, ward Olympia als ein 
gemeinsames Bundesheiligtum eingesetzt. Zunächst schlossen die beiden Ver⸗ 
kreter von Sparta und Eüs, Lykurgos und Iphilos, ein heiliges Bündnis mit 
einander, indem sie sich für die Sicherheit des Heiligtums und für freies
	        
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