Full text: [Tertia, [Schülerband]] (Tertia, [Schülerband])

32 A. Rein epische Poesie. J. Heroisches Epos. 
21. Da sprach der edle Ritter: „So seht meine Hand, 
Ob Ihr das Gold erkennet; Herwig bin ich genannt. 
Mit diesem Mahlschatz sollt' ich Gudrunen minnen. 
Seid Ihr denn meine Gattin, wohlan, ich führ' Euch minniglich von hinnen!“ 
22. Sie lacht' in ihrer Freude; da sprach das Mägdelein: 
„Das Gold erkenn' ich wieder, vor Zeiten war es mein. 
Nun sollt Ihr dieses sehen, das mein Geliebter sandte, 
Da ich armes Mädchen mit Freuden war in meines Vaters Lande.“ 
23. Wie nach der Hand er schaute und das Gold ersah, 
Herwig, der Edle, sprach zu Gudrun da: 
„Dich hat auch anders niemand als Königsblut getragen; 
Nun hab' ich Freud' und Wonne gesehn nach langem Leid und bösen Tagen.“ 
24. Da sprach der König Herwig: „Wohl mögen wir gestehn: 
Uns ist auf dieser Reise so großes Glück geschehn, 
Besser konnt' es wahrlich nimmer uns gelingen. 
Nun laßt uns nur eilen, daß wir sie weg von diesem Strande bringen!“ 
25. Da sprach der Degen Ortwein: ‚Nicht doch, das thu' ich nie; 
Und hätt' ich hundert Schwestern, all sterben ließ ich sie, 
Eh' ich mich in der Fremde so feige wollte hehlen, 
Die mit Gewalt sie nahmen, meinen grimmen Feinden wegzustehlen.“ 
26. Da sprach die Tiefbetrübte: „Was hab' ich dir gethan, 
Lieber Bruder Ortwein? Deine Augen, sahn 
Sie je mich so gebaren, daß man mich dürfte schelten? 
Ich weiß nicht, welcher Dinge du, edler Fürst, mich heute läßt entgelten.“ — 
27. „Ich thu' es liebe Schwester, nicht aus Haß zu dir; 
Doch deine edlen Maide nur also retten wir. 
Eh' morgen scheint die Sonne, lieg' ich hier zu Felde, 
Das glaub' auf meine Treue, vor dieser Burg mit achtzigtausend Helden.“ 
28. So schnell, als sie konnten, fuhren sie hindann. 
Da hub ein härtres Scheiden zwischen Freunden an, 
Als je Freunde thaten, das darf man mir wohl glauben. 
Sie begleiteten die Boten, so fern als sie nur konnten, mit den Augen. 
29. Da sprach die schöne Hildburg, die Maid aus Irland: 
„Was laßt Ihr, Königstochter, liegen das Gewand, 
Daß ihr Ludwigs Degen zu waschen säumt die Kleider? 
Und wird das Gerlind inne, so that sie uns mit Schlagen niemals leider.“ 
30. Da sprach Hagens Enkelin: Freude nahet mir, 
Trost und hohe Wonne; ob sie bis morgen hier 
Mich mit Besen schlügen, daran würd' ich nicht sterben; 
Doch die uns so mißhandeln, deren müssen viele bald verderben. 
31. Ich will diese Kleider tragen zu der Flut. 
Es soll ihnen frommen,“ sprach das Mägdlein gut, 
„Daß ich mich vergleichen darf mit Königinnen: 
Ich werfe sie ins Wasser, daß sie lustig fließen von hinnen.“ 
5BVas auch Hildburg redete, Gudrun trug hindann 
Frau Gerlindens Linnen; zu zürnen hub sie an. 
Sie schwang sie aus den Händen weit in die Wogen; 
Sie schweblen eine Weile; ich weiß nicht, ob sie je hervor sie zogen. 
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