152
I
eine außerordentliche Schwärze ausgezeichnet sind, geben dem süd¬
lichen Himmel eine eigentümliche Physiognomie. Dieses Schau¬
spiel setzt selbst die Einbildungskraft derjenigen in Bewegung, welche,
ohne Unterricht in den höhern Wissenschaften, das Himmelsgewölbe
gern betrachten, wie man eine schöne Landschaft oder eine majestä¬
tische Aussicht bewundert. Man hat nicht nöthig, Botaniker zu
sein, um die heiße Zone bei dem bloßen Anblicke der Vegetation
zu erkennen; ohne Kentnis in der Astronomie erlangt zu haben,
ohne mit den Himmelskarten vertraut zu sein, fühlt man, daß
man nicht in Europa ist, wenn man das ungeheure Stern¬
bild des Schiffs oder die phosphorescierenden Wolken Magellan's
am Horizont aufsteigen sieht. Die Erde und der Himmel, alles
nimmt in der Aequinoctialgegeüd einen exotischen Charakter an.
Die niedern Gegenden der Luft waren seit einigen Tagen nut
Dämpfen angeschwängert. Wir sahen erst in der Nacht vom 4.
zum 5. Juli, im 16. Grad der Breite, das Kreuz des Südens
zum ersten Mal deutlich; es war stark geneigt und erschien von
Zeit zu Zeit zwischen Wolken, deren Mittelpunkt, von dem Wetter¬
leuchten gefurcht, ein silberfarbenes Licht zurückwarf. Wenn es
einem Reifenden erlaubt ist, von seinen persönlichen Rührungen zu
reden, so setze ich hinzu, daß ich in dieser Nacht einen der Träume
meiner ersten Jugend in Erfüllung gehen sah.
Die Befriedigung, welche wir bei der Entdeckung dieses Kreuzes
des Südens empfanden, wurde lebhaft von denjenigen Personen der
Schiffsmannschaft geteilt, welche die Colonien bewohnt hatten. In
der Einsamkeit der Meere grüßt man einen Stern wie einen Freund,
von dem man lange Zeit getrennt war. Bei den Portugiesen und
Spaniern scheinen noch besondere Gründe dieses Interesse zu ver¬
mehren: ein religiöses Gefühl macht ihnen ein Sternbild lieb, dessen
Form ihnen das Zeichen des Glaubens ins Gedächtnis ruft, welches
von ihren Voreltern in den Wüsten der neuen Welt aufgepflanzt
wurde.
Da die beiden großen Sterne, welche die Spitze und den Fuß
des Kreuzes bezeichnen, ungefähr die nämliche gerade Aufsteigung
haben, so muß das Sternbild in dem Augenblick, wo es durch den
Meridian geht, beinahe senkrecht stehen. Diesen Umstand kennen
alle Völker, welche jenseit des Wendekreises oder in der südlichen
Hemisphäre wohnen. Man hat beobachtet, um welche Zeit in der
Nacht, in verschiedenen Jahreszeiten, das Kreuz im Süden gerade
oder geneigt ist. Es ist dieß eine Uhr, welche ziemlich regelmäßig,
nahezu um 4 Minuten täglich, vorrückt, und kein anderes Sternbild
bietet bei dem bloßen Anblick eine so leicht anzustellende Beobachtung der