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fällig wurde, erbot sich Theseus, als einer der sieben Jünglinge, die dem
Minotaurus dargebracht werden sollten, nach Creta zu schiffen und das
Ungeheuer zu tödten. Sollte sein Vorhaben von Erfolg gekrönt sein, so
versprach Theseus, statt des schwarzen Segels, mit welchem das Schiff seine
traurige Fahrt antrat, für die Heimkehr ein weißes aufzuhissen. In Creta
erwarb sich Theseus die Neigung der Königstochter Ariädne, welche
ihm einen Knäuel Bindfaden übergab, damit er den Rückweg aus dem
Labyrinthe finden könne. Theseus erschlug den Minotaurus, gelangte mit
Hilfe des abgewickelten Fadens aus dem Labyrinthe heraus, schiffte sich ein
und nahm die Aricädne, die er zur Gemahlin erwählt hatte, mit sich. Als
er aber an der Insel Naxos vor Anker ging, wurde ihm Ariadne durch den
Weingott Dionÿsus geraubt. In der Trauer über diesen Verlust vergaß
Theseus das verabredete weiße Segel aufzuziehen. Sein Vater, der vom
Strande nach dem heimkehrenden Schiffe ausgespäht hatte, stürzte sich beim
Erblicken des schwarzen Wimpels in das Meer, welches seither das ägäische
genannt ward. ~ Theseus vereinigte als König die getrennten Gaue von
Attica zu einem Staate, dessen Mittelpunkt die Stadt Athén wurde, und
schied die Bevölkerung in den Adel (die Eupatriden), die Ackerbauer und
Handwerker. Als er der Herrschaft entsagen und die Demokratie einführen
wollte, brach ein von den Eupatriden veranstalteter Aufruhr aus. Theseus
verließ deshalb Athen und begab sich nach der Insel Scyrus, auf welcher
er den Tod fand.
3. Die Argonautenfahrt.
Über die auf der Halbinsel Magnesia befindliche Stadt Jolcus und
einen Theil von Böotien herrschte König Äthamas. Dieser hatte aus seiner
ersten Ehe mit der Wolkengöttin Nephéle einen Sohn Phrixus und eine
Tochter Hélle. Als Athamas mit Ino, einer Tochter des Cadmus ($ 24),
eine zweite Ehe einging, hatten die beiden Kinder der Nephele von ihrer
Stiefmutter vieles zu leiden. Als einmal andauernde Dürre herrschte, be-
redete Ino ihren Gatten, seine Kinder aus erster Che dem Zeus zu opfern.
Die im Olymp wohnende Nephele sandte aber ihren Kindern einen Widder
mit goldenem Felle (Vliese), der reden und fliegen konnte und die unglück-
lichen Geschwister in das Sonnenland Aia oder Colchis tragen sollte.
Während des Fluges fiel Helle, von Schwindel erfasst, in das nach ihr
benannte Meer (Hellespont) und ertrank. Phrixus gelangte aber glücklich
nach Colchis, opferte dort den Widder dem Zeus und hängte das goldene
Vlies in einem dem Ares (Mars) geheiligten Haine auf.
Athamas starb ohne Nachkommen und sein Reich ging deshalb an
seinen Bruder und dessen Söhne über. Ciner der letzteren, Pélias, bemächtigte
sich der Herrschaft über Jolcus mit Verletzung der weit größeren Anrechte,
welche sein Bruderssohn Jáson auf dieses Reich besaß. Als Jason sein
väterliches Erbe forderte, erklärte Pelias dieses ihm abzutreten, wenn er das
goldene Vlies aus Colchis heimhole. Jason ging auf diesen gefährlichen
Vorschlag ein und bewog die größten Helden Griechenlands. ihn nach Colchis