fullscreen: Deutsches Dichterbuch ([Teil 2]. Bd. 4, Hälfte 2, [Schülerbd.])

Eduard Mörike. 
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Wahrlich, den eigenen Wutschrei hörete nicht der Gigant hier, 
lag' er, vom Limmel gestürzt, unten am Felsen gekrümmt. 
Rosse der Götter, im Schwung, eins über dem Rücken des andern, 
stürmen herunter und streun silberne Mähnen umher; 
herrliche Leiber, unzählbare, folgen sich, nimmer dieselben, 
ewig dieselbigen — wer wartet das Ende wohl aus? 
Angst umzieht dir den Busen mit eins, und, wie du es denkest, 
über das Paupt stürzt dir krachend das Pimmelsgewölb! 
7. Die traurige Krönung 
Es war ein König Milesint, 
von dem will ich euch sagen: 
Der meuchelte sein Bruderskind, 
wollte selbst die Krone tragen. 
Die Krönung ward mit Prangen 
auf Liffey-'Schloß begangen. 
O Irland, Irland! wärest du so blind? 
Der König sitzt um Mitternacht 
im leeren Marmorsaale, 
sieht irr in all die neue Pracht, 
wie trunken von dem Mahle. 
Er spricht zu seinem Sohne: 
„Noch einmal bring die Krone! 
Doch schau, wer hat diePforten aufgemacht? 
Da kommt ein seltsam Totenspiel, 
ein Zug mit leisen Tritten, 
vermummte Gäste groß und viel, 
eine Krone schwankt inmitten; 
es drängt sich durch die Pforte 
mit Flüstern ohne Worte: 
dem Könige, dem wird so geisterschwül. 
Lind aus der schwarzen Menge blickt 
ein Kind mit frischer Wunde; 
es lächelt sterbensweh und nickt, 
es macht im Saal die Runde, 
es trippelt zu dem Throne, 
es reichet eine Krone 
dem Könige, des Lerze tief erschrickt. 
Darauf der Zug von dannen strich, 
von Morgenluft berauschet. 
Die Kerzen flackern wunderlich, 
der Mond am Fenster lauschet. 
Der Sohn mit Angst und Schweigen 
zum Vater tät sich neigen — 
er neiget über eine Leiche sich. 
8. Die schöne Buche. 
Ganz verborgen im Wald kenn' ich ein Plätzchen, da stehet 
eine Buche: man sieht schöner im Bilde sie nicht. 
Rein und glatt, in gediegenem Wuchs erhebt sie sich einzeln, 
keiner der Nachbarn rührt ihr an den seidenen Schmuck. 
Rings, so weit sein Gezweig der stattliche Baum ausbreitet, 
grünet der Rasen, das Aug' still zu erquicken, umher; 
Gleich nach allen Seiten umzirkt er den Stamm in der Mitte; 
kunstlos schuf die Natur selber dies liebliche Rund. 
Zartes Gebüsch umkränzet es erst, hochstämmige Bäume, 
folgend in dichtem Gedräng', wehren dem himmlischen Blau. 
Neben der dunkleren Fülle des Eichbaums wieget die Birke 
ihr jungfräuliches Laupt schüchtern im goldenen Licht.
	        
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