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hervorragender Weise Deutschlands Architekturentwicklung. Paris ent-
Faltete namentlich unter Napoleon 111. eine außerordentliche, selbst im
Kirchenbaue etwas weltlich kokette Bautätigkeit; Belgien folgte teil-
weise dem franzö schen Klassizismus, England verwendete aufs neue
mit Vorliebe die gotischen Formen. Die Restaurierung alter Bauten
und der teils schon vollendete, teils dem Abschlusse nahe Ausbau
yroßer mittelalterlicher Kirchenanlagen (Kölner Dom, Münster zu Ulm,
Prager Dom) sowie die besonders in Deutschland systematisch durch-
geführte Inventarisierung der Baudenkmale fördern nicht nur die ge-
schichtliche Erkenntnis, sondern auch die Neubelebung verschieden-
artiger Stilformen, die bald. mehr, bald minder glücklich nachgeahnıt
werden.
Die Bildhauerei.
Italiens Bildhauerkunst hatte schon während des 15, Jahrhundertes
an versehiedenen Orten durch hochbegabte Meister in künstlerisch vollende-
ten, oft eigenartigen Werken ganz neue Bahnen eingeschlagen. Genaues
Naturstudium, das den meist porträtartig aufgefaßten Köpfen lebens-
wahren Ausdruck, gut beobachteten Bewegungen der Gestalten eine der
Wirklichkeit entsprechende Richtigkeit und den innerlich bewegten Scenen
bei Anmut der Erscheinung volle Lebendigkeit sicherte, wurde ihr ent-
wicklungsfrischer, ertragreicher Boden. Die gerade am Beginne des
16. Jahrhundertes wieder aufgefundenen antiken Statuen (mediceische
Venus, Apollo vom Belvedere, Laokoongruppe, Torso vom Belvedere)
natten gleich den im Garten der Mediei bei San Marco in Florenz auf-
gestellten Skulpturen in den Künstlern das Bestreben erregt, die Natur-
wahrheit in noch mächtigeren Formen mit einer gewissen idealisierenden
Einfachheit wiederzugeben und eine größere Selbständigkeit des nicht an
die Architektur gebundenen Kunstwerkes zu erreichen. Der bedeutendste
Vertreter der neuen Richtung, welcher freilich bald die Naturwahrheit
der Behandlung dem Erzielen einer großen Wirkung opferte und damit
auf einen für minder Begabte gefährlichen Pfad einlenkte, war Michel-
angelo Buonarroti, dessen Marmorrelief mit der Kentaurenschlacht
(Florenz, Casa Buonarroti) ein feines Verständnis antiker Kunst atmet.
Über die schöne und ausdrucksvolle Pietägruppe der Peterskirche in
Rom (Abb. 22) wuchs er schon 1504 mit seinem David (Florenz, Akademie)
und noch mehr mit seinem für das Grabmal des Papstes Julius IL. be-
stimmten Moses (Rom, S. Pietro in Vincoli) ins Großartige hinaus, Nicht
weniger berühmt sind seine Grabdenkmale des Lorenzo und Giuliano de
Mediei in der medieeischen Kapelle zu S. Lorenzo in Florenz; in den
nicht porträttreuen Hauptgestalten und den zu ihren Füßen lagernden
Personifikationen des Tages, der Nacht, der Morgen- und Abenddämmerung
ist die Wirkung durch großartige Formen und mächtige Gegensätze
erzielt. Jacopo Sansovino, ein Schüler des die Taufe Christi am
Baptisterium zu Florenz arbeitenden Andrea Sansovino (1460—1529),
jetätigte seine dem Geiste der Antike ungemein nahekommende Meister-