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meinem Fenster aus konnte ich die ganze Schlucht übersehen, und so
kam es, daß ich im Jahre 1885 die alte Krähe zum ersten Male bemerkte.
Ich war noch unbekannt in der Nachbarschaft, aber ein alter Bewohner
erzählte mir, daß der gewaltige Krähendespot sich schon länger als
zwanzig Jahre in dem Tale herumtrieb. Die günstigste Gelegenheit,
ihn zu beobachten, bot sich in der Bergschlucht, und da Silberfleck
seine alte Wegrichtung gewohnheitsmäßig innehielt, obwohl die Hügel
jetzt mit Häusern bebaut sind und der Taleinschnitt mit Brücken
überspannt ist, konnte ich ihn bald zu meinen näheren Bekannten
zählen. Im März und April und daun wieder im Spätsommer und
Herbst passierte er zweimal am Tage auf dem Hin⸗ und Herwege
meinen Beobachtungsposten, ließ mich seine Bewegungen genau be—
obachten, seine Kommandos vernehmen und öffnete mir auf diese
Weife nach und nach die Augen.
An einem windigen Tage stand ich auf der hohen Brücke, als
Silberfleck an der Spitze seiner langgestreckt und zerstreut fliegenden
Truppen eben heimwärts zog. Eine halbe Meile weit vor mir konnte
ich den zufriedenen Ruf: „Krah, krahl“ — „Alles sicher, nur immer
vorwärts!“ wie wir es ausdrücken würden, hören,
Nr. 1.
krah
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den sein Leutnant im Nachtrab wiederholte. Sie flogen beträchtlich
tiefer als sonst, um nicht in den Wind zu kommen, und mußten sich
etwas erheben, um über die Brücke hinwegzustreichen, wo ich stand.
Silberfleck entdeckte mich dort, und mich einige Sekunden scharf
beobachtend, da ich ihm nicht ganz geheuer schien, rief er nach rück—
wärts: „Krah!“ — „Seid auf der Hutl!“ und erhob sich, von den
Seinen
Nr. 2.
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kra
gefolgt, hoch in die Luft. Dann, als er sah, daß ich unbewaffnet
war, flog er etwa siebzig Fuß über meinen Kopf hinweg, und auch
die anderen ließen sich wieder in die alte Fluglinie herabsinken, als
sie die Brücke hinter sich hatten.
Muttersprache. B. IIl.