Full text: Lektüre zur Erdkunde

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Kaiser Athanasius 507 v. Chr. gebaute Mauer, die quer über die Wurzel 
der thrakischen Halbinsel vom Schwarzen zum Marmarameere führte. 
Ihr entspricht in der Gegenwart die etwas weiter zurückgelegene Linie 
Tschataldscha, die vom Liman von Bojuk Tschekmedsche am Marmara- 
meere längs dem Tale des dort einmündenden Flüßchens an den 
Liman von Derkos am Schwarzen Meere führt. Eine innere Verteidi- 
gungslinie folgt den Höhen rings um Konstantinopel von Bojukdere 
am Bosporus bis Makri Kjöi am Marmarameere. Der Linie von 
Tschataldscha entspricht auf der asiatischen Seite die Linie des Riva 
Dere, dessen tief eingeschnittenes, fast die ganze bithynische Halbinsel 
querendes Tal eine ausgezeichnete Verteidigungsstellung bietet, wenn 
eine kaum minder gute, nur etwas längere überwältigt sein sollte, die 
von Ismid aus längs dem unteren Sakaria führt. Wie so zu Lande 
ein Feind der Stadt leicht fern gehalten werden kann, so noch leichter 
zur See am Nordeingange des Bosporus wie an den Dardanellen, 
die daher beide zu beiden Seiten mit wahren Musterkarten von Festungs- 
werken aus den allerverschiedensten Zeiten besetzt sind. Beide Meer- 
engen sind ja auch jetzt durch internationale Verträge für Kriegsschiffe 
gesperrt. Solange der Herr von Konstantinopel auch im Besitz der 
Meerengen ist, stehen ihm die reichen Gestade des Marmarameeres 
zur Verfügung, ist das europäische Gestade verloren, so bleibt das 
asiatische, beherrscht der Feind, von Norden kommend, das Schwarze 
Meer, so bleibt der Archipel und umgekehrt. Die Natur hat für Kon- 
stantinopel den Schutz vorbereitet, den man einer modernen Festung 
durch einen Kranz weit abgerückter Forts zu geben sucht. Es gleicht 
einer befestigten Provinz. 
So hat sich Konstantinopel seit dem Altertume als Weltstadt be- 
hauptet, während seine Nebenbuhlerinnen Antiochien und Alexandria, 
auch ihrerseits im späteren Altertum Brennpunkte des Handels zwischen 
dem mediterranen und dem süd- und ostasiatischen Kulturkreise längst 
ihre Bedeutung verloren haben. Durch die Eroberung seitens der Türken 
erhielt es allerdings einen ganz anderen Charakter. Die Seebeziehungen 
traten zurück, da ja unter der Herrschaft der Türken, eines durchaus 
festländischen Volkes, das nur vorübergehend unter großen Herrschern 
mit Hilfe griechischer Seemannschaften auch das Meer beherrscht hat, 
das Schwarze Meer völlig verödete. Konstantinopel wurde die Haupt- 
stadt und der natürliche Mittelpunkt eines gewaltigen Reiches, das 
nicht nur die beiden Halbinseln umfaßte, sondern den größten Teil von 
Ungarn, die Länder um das Schwarze Meer, Syrien und Mesopotamien, 
große Teile von Arabien und des Nordrandes von Afrika, bis nach 
Algerien. Der politische Zusammenschluß dieses gewaltigen, drei Erd- 
teilen angehörigen Ländergebiets und die Behauptung desselben Jahr- 
hunderte hindurch war nur möglich von einem so ausgezeichneten Mittel- 
punkte aus wie Konstantinopel. 
Weigeldt, Lektüre zur Erdkunde. 15
	        
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