— 225 —
Kaiser Athanasius 507 v. Chr. gebaute Mauer, die quer über die Wurzel
der thrakischen Halbinsel vom Schwarzen zum Marmarameere führte.
Ihr entspricht in der Gegenwart die etwas weiter zurückgelegene Linie
Tschataldscha, die vom Liman von Bojuk Tschekmedsche am Marmara-
meere längs dem Tale des dort einmündenden Flüßchens an den
Liman von Derkos am Schwarzen Meere führt. Eine innere Verteidi-
gungslinie folgt den Höhen rings um Konstantinopel von Bojukdere
am Bosporus bis Makri Kjöi am Marmarameere. Der Linie von
Tschataldscha entspricht auf der asiatischen Seite die Linie des Riva
Dere, dessen tief eingeschnittenes, fast die ganze bithynische Halbinsel
querendes Tal eine ausgezeichnete Verteidigungsstellung bietet, wenn
eine kaum minder gute, nur etwas längere überwältigt sein sollte, die
von Ismid aus längs dem unteren Sakaria führt. Wie so zu Lande
ein Feind der Stadt leicht fern gehalten werden kann, so noch leichter
zur See am Nordeingange des Bosporus wie an den Dardanellen,
die daher beide zu beiden Seiten mit wahren Musterkarten von Festungs-
werken aus den allerverschiedensten Zeiten besetzt sind. Beide Meer-
engen sind ja auch jetzt durch internationale Verträge für Kriegsschiffe
gesperrt. Solange der Herr von Konstantinopel auch im Besitz der
Meerengen ist, stehen ihm die reichen Gestade des Marmarameeres
zur Verfügung, ist das europäische Gestade verloren, so bleibt das
asiatische, beherrscht der Feind, von Norden kommend, das Schwarze
Meer, so bleibt der Archipel und umgekehrt. Die Natur hat für Kon-
stantinopel den Schutz vorbereitet, den man einer modernen Festung
durch einen Kranz weit abgerückter Forts zu geben sucht. Es gleicht
einer befestigten Provinz.
So hat sich Konstantinopel seit dem Altertume als Weltstadt be-
hauptet, während seine Nebenbuhlerinnen Antiochien und Alexandria,
auch ihrerseits im späteren Altertum Brennpunkte des Handels zwischen
dem mediterranen und dem süd- und ostasiatischen Kulturkreise längst
ihre Bedeutung verloren haben. Durch die Eroberung seitens der Türken
erhielt es allerdings einen ganz anderen Charakter. Die Seebeziehungen
traten zurück, da ja unter der Herrschaft der Türken, eines durchaus
festländischen Volkes, das nur vorübergehend unter großen Herrschern
mit Hilfe griechischer Seemannschaften auch das Meer beherrscht hat,
das Schwarze Meer völlig verödete. Konstantinopel wurde die Haupt-
stadt und der natürliche Mittelpunkt eines gewaltigen Reiches, das
nicht nur die beiden Halbinseln umfaßte, sondern den größten Teil von
Ungarn, die Länder um das Schwarze Meer, Syrien und Mesopotamien,
große Teile von Arabien und des Nordrandes von Afrika, bis nach
Algerien. Der politische Zusammenschluß dieses gewaltigen, drei Erd-
teilen angehörigen Ländergebiets und die Behauptung desselben Jahr-
hunderte hindurch war nur möglich von einem so ausgezeichneten Mittel-
punkte aus wie Konstantinopel.
Weigeldt, Lektüre zur Erdkunde. 15