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Hyazinthen an die Reihe, dann die Nelken, die Pelargonien, die Kamelien,
die Zinerarien, die Azaleen, die Begonien, die Gardenien, die Chrysan¬
themen, die Orchideen, die buntblätterigen und andere Blattpflanzen.
Gestern mußten es Fuchsien mit blauer Korolle sein, heute mit weißer;
gestern Petunien mit grünem Rande, heute mit gefüllter Korolle; jeder
Tag bringt eine neue Mode auf und eine alte in Vergessenheit. Keine
Dame kann lebhafteren Anteil an den Neuigkeiten nehmen, welche die
Modezeitungen wöchentlich aus Paris bringen, als der Blumenfreund
für die neuesten Fassons und Dessins in der Pflanzenwelt sich interessiert,
welche die Gartenzeitungen Woche für Woche aus den Mittelpunkten der
Blumenmoden, aus London und Gent, aus Erfurt oder Berlin mitteilen.
Und gleichwie unsere Kleidermoden zuerst in den Prachtsälen der vor¬
nehmen Gesellschaft glänzen, dann sich auch in bürgerlichen Kreisen Ein¬
gang verschaffen, bis sie schließlich, oft erst nach Jahrzehnten, der Toilette
der dienenden Klasse oder der ländlichen Bevölkerung anheimfallen, so wird
auch eine Blume, solange sie modern ist, teuer bezahlt und mit Leiden¬
schaft gesucht; sie darf in keinem Garten fehlen, der auf der Höhe der
Zeit stehen soll; sie allein hat das Recht, in einem Bukett zu glänzen,
das in einem Salon zugelassen werden will. Ist die Blume aus der
Mode gekommen — und das geschieht oft nach sehr kurzer Zeit — dann
überläßt man sie zu billigem Preise dem bescheideneren Blumenfreunde,
der sie in einem Scherben hinter seinem Fenster heranzieht, bis sie endlich
vielleicht in einem Banerngärtchen ihr obskures Dasein beschließt. Dieselbe
Zwiebel, für die einst Mynheer van der Velsen 5000 Gulden bezahlte,
kann man heute für ein paar Groschen auf jedem Blumenmarkte erhandeln,
wenn sie nicht inzwischen gänzlich ausgegangen ist, weil niemand, seitdem
sie längst aus der Mode gekommen, sich mehr die Mühe geben will, sie
aufzuziehen.
Aber so mächtig auch die Mode im Reiche der Blumen wie in der
Menschenwelt regiert, allmächtig ist sie doch nicht. Gleichwie nur das an
sich wertlose Papier, nicht aber das edle Metall den wechselnden Stempel
des Tages bedarf, um als wertvoll zu gelten, so behält auch alles, was
wahrhaft gut und schön ist, für alle Zeiten seinen unveräußerlichen Wert.
So bildet die Jugend ihren Geist noch heute an denselben Homerischen
Gesängen, an denen einst Solon und Sokrates und so viele Generationen
nach ihnen sich erfreut haben; so erfüllt ein jedes wahre Kunstwerk, möge
es nun die Venus von Melos oder die Sixtinische Madonna sein, das
Gemüt noch heute mit derselben Bewunderung, die durch Jahrhunderte nicht
veraltet ist; so werden die Werke Shakespeares, Goethes, Beethovens be¬
stehen und genossen werden, wenn alles längst vergessen sein wird, was
die Mode des Tages hebt und begräbt. Und so sind auch nur diejenigen
Blumen der Mode unterworfen, deren Hauptverdienst in dem Reize der
Neuheit, in ihrer seltsamen Form, in ihrer bizarren Farbe besteht. Es