Full text: [Abteilung 2 = Für die mittleren Klassen, [Schülerband]] (Abteilung 2 = Für die mittleren Klassen, [Schülerband])

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472. (474.) Abseits. 
(Theodor Storm.) 
1. Es ist so still, die Heide tiegt 
Im warmen Mittagssonnenstrahle, 
Ein rosenroter Schimmer fliegt 
Um ihre alten Gräbermale; 
Die Kräuter blühn; der Heidedust 
Steigt in die blaue Sommerlust. 
2. Laufkäfer hasten durchs Gesträuch 
In ihren goldnen Panzerröckchen, 
Die Bienen hängen Zweig um Zweig 
Sich an der Edelheide Glöckchen, 
Die Vögel schwirren aus dem Kraut,— 
Die Lust ist voller Lerchenlaut. 
3. Ein halbverfallen Schindelhaus 
Steht einsam hier und sonnbeschienen; 
Der Kätner lehnt zur Thür hinaus, 
Behaglich blinzelnd nach den Bienen. 
Sein Junge aus dem Stein davor 
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr. 
4. Kaum zittert durch die Mittags¬ 
ruh' 
Ein Schlag der Dorsuhr, der ent¬ 
fernten ; 
Dem Alten fällt die Wimper zu, 
Er träumt von seinen Honigernten. 
— Kein Klang der aufgeregten Zeit 
Drang noch in diese Einsamkeit. 
473. Die Waldmtthle. 
(Gustav Pfarrius.) 
1. Wo rauscht aus düstrer Wald¬ 
nacht 
Hinaus ins Freie der Bach, 
Da blickt aus Erlenbüschen 
Ein weißbestäubtes Dach. 
2. Da dreht sich am Gemäuer 
Ein schwarzes Mühlenrad, 
Das wirft viel kühle Tropfen 
Herüber aus den Pfad. 
3. Da glänzt eine stille Wiese, 
Umsäumt vom dunkeln Wald, 
Aus dem der Schlag der Amsel 
Traulich herüber schallt. 
4. Und aus der Wiese spielen 
Der Kindlein zwei und drei, 
Drei Jüngferchen im Grünen, 
Vielleicht ein Knab' dabei. 
5. Sie hat gelockt und gefesselt 
Der Blumen goldner Glanz, 
Der Kleinsten Lockenköpfchen 
Schon schmückt ein gelber Kranz. 
6. Sie knieen hin und wieder 
Im liefen, duft'gen Grün 
Und scheinen aus der Wiese 
Als Blümchen selber zu blühn. 
7. So heiter und so schuldlos, 
' So frisch im Frühlingshauch, 
So voll des innersten Lebens, 
So still und selig auch. 
8. Der Mühle heimlich Klappern 
Erhöht des Thales Ruh'; 
Vom Wege schau' ich stille 
Dem Spiel der Kleinen zu. 
9. Und eine Stimme hör' ich, 
Die spricht so warm und weich: 
„O werdet wie die Kindlein, 
Ihrer ist Gottes Reich!" 
474. (300.) Der Kirchgang. 
(Aus Amaranth, von Oskar von Redwttz.) 
O seliger Gang, am Feiertag 
- Zu wandeln durch die Waldesnacht, 
' Durch hoher Eichen Kronenpracht, 
Durch sast'ger Buchen duft'gen 
Schlag, 
' Durch Wiesengründe bronnenfrisch, [5 
! An junger Erlen schlankem Hag, 
Zu wandeln zu des Herren Tisch! 
1 Noch überall ist tiefe Ruh'; 
Die Himmelsaugen blicken matt 
Und fallen mählich brechend zu. [10 
Es schläft im Wald noch jedes Blatt 
Und jeder Stamm und jeder Stein, 
Die Vöglein all in Busch und Baum, 
Die Blümlein all arn Born und 
Rain. 
j Da ganz zuerst am Waldessaum, [15 
59*
	        
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