Full text: Römische Geschichte in kürzerer Fassung

Germaniens im Orient. 
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nicht ausweichen konnte, wie er wohl gewünscht hätte. Man 
meinte allgemein, dass er Deutschland unterworfen haben würde, 
wenn ihm gestattet worden wäre, den Krieg fortzusetzen, und 
dass die Abberufung von Seiten des Tiberius aus Hass und Miss¬ 
gunst gegen seinen Adoptivsohn geschehen sei. Das erstere ist 
freilich sehr zweifelhaft, da die Erfolge des Germaniens trotz dem 
Glanze seiner Kriegsthaten doch nichts weniger als entscheidend 
waren; das andere ist bei dem Charakter des Tiberius und unter 
den obwaltenden Umständen wenigstens nicht unwahrscheinlich. 
Germaniens war ihm von Augustus als Adoptivsohn und somit 
zugleich als designierter Nachfolger aufgedrungen worden, ob¬ 
gleich er selbst einen wenige Jahre jüngeren Sohn hatte; er war 
sich der Ungunst des Volks bewusst, während Germaniens um 
seiner Offenheit, Leutseligkeit und Lebhaftigkeit willen der all¬ 
gemeine Liebling war: was war also bei seinem Misstrauen gegen 
sich selbst wie gegen alle anderen Menschen natürlicher, als dass 
ihm Germaniens als Inhaber des grössten und tüchtigsten Heeres, 
welches der römische Staat besass, und als ruhmgekrönter Feld¬ 
herr ein Gegenstand der Besorgniss wurde, und dass er fürchtete, 
wie es der römische Geschichtschreiber ausdrückt, dass er es 
vorziehen möchte, die Herrschaft sofort zu ergreifen, statt zu 
warten, bis sie ihm im natürlichen Laufe der Dinge zufiele? 
Dieselbe Gunst des Volks für Germaniens und Ungunst gegen 
Tiberius, die sich bei dieser Gelegenheit äusserte, hat übrigens 
den ersteren auch während der wenigen ihm noch vergönnten 
Lebensjahre begleitet. Tiberius schickte ihn bald nachher nach 
dem Orient, wo namentlich die Verhältnisse des Partherreichs 
und Armeniens das Eingreifen Roms erforderten. Er bekleidete 
ihn mit einer ausserordentlichen, den ganzen Osten umfassenden 
Vollmacht; gleichzeitig aber setzte er als Statthalter von Syrien 
den Cn. Piso ein, einen der stolzesten Aristokraten Iloms, der, 
wie die ganze kaiserliche Familie, so auch den Germaniens hasste, 
und dessen Gemahlin Plancina mit Agrippina, der Gemahlin des 
Germaniens, persönlich verfeindet, aber eine vertraute Freundin 
der Kaiserin Augusta war. Schon hierin fand man allgemein 
eine böswillige Absicht des Tiberius. Auch gab Piso sofort seine 
feindselige Gesinnung gegen Germaniens zu erkennen. Als nun 
aber Germaniens, nachdem er seine Aufgabe glücklich gelöst 
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