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den König’ näher hinzu; das offene Gesicht des Knaben
gefiel ihm; er fragte ihn über allerlei Dinge, und die
schnellen, treffenden Antworten dieses Kindes der Natur,
das ohne Unterricht bei seiner Heerde aufgewachsen war,
setzten den König inVerwunderung. Er hatte noch seine
Gedanken darüber, als sein Vezir dazu kam. „Komm,
Vezir,“ rief er ihm entgegen, „und sage mir, wie Dir
dieser Knabe gefällt.“ Der Vezir kam herbei, der König
setzte seine Fragen fort, und der Knabe blieb ihm keine
Antwort schuldig. Seine Unerschrockenheit, sein gesundes
UrtheilundseineoffeneFreimüthigkeitnahmendenKönig
und den Yezir so sehr ein, dass jener beschloss, ihn mit
sich zu nehmen und erziehen zu lassen, damit man sehe,
was aus dieser schönen Anlage der Natur unter der
Hand der Kunst werde.
Wie eine Feldblume, die der Gärtner"aus ihrem dür¬
ren Boden hebt und in ein besseres Erdreich pflanzet, in
Kurzem ihren Kelch" erweitert und glänzendere Farben
annimmt: so bildete sich auch der Knabe unvermerkt
zu einem Manne von grossen Tugenden aus. Der König ge¬
wann ihn täglich lieber; er gab ihm den Namen Ali Beg
und machte ihn zu seinem Grossschatzmeister.
Ali Beg besass alle Tugenden, die sich nur zusammen
vereinigen lassen: Unsträflichkeit in seinen Sitten, Treue
und Klugheit in seinem Amt, Freigebigkeit und Grossmuth
gegen die Fremden, Gefälligkeit gegen alle, die ihn um
etwas baten, und ob er gleich der Liebling des Königs
war, die bescheidenste Demuth. Was ihn aber am mehr-
sten unter den persischen Hofleuten auszeichnete, war
seineUneigennützigkeit; dennnie liess ersichseineDienste
bezahlen; seine guten Thaten hatten'die reinste Quelle,
das Verlangen, den Menschen nützlich zu werden. Und
doch entging er bei allen diesseu Tugenden der Verleum¬
dung der Höflinge nicht, die seine Erhebung mit heim¬
lichem Neide ansahen. Sie legten ihm allerlei Fallen und
suchten ihn bei dem König verdächtig zu machen. Aber
Schach Abbas war ein Fürst von seltenen Eigenschaften;
argwöhnischer Verdacht war für seine grosse Seele zu
klein, und Ali Beg blieb in Ansehen und Ruhe, so
lange sein grossmüthiger Beschützer lebte.
Zum Unglück starb dieser grosse König, und Schach
Sefi, der ihm folgte, schien die Wehklage der Völker zu
rechtfertigen, die es bedauert, dass gute Fürsten wie an¬
dere Menschen sterben. Er war das völlige Widerspiel