A. Im Vaterland.
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4. Die letzte Großlandschaft, Norddeutschland im engeren
Sinne, zeigt uns ebenfalls manch einheitlichen Zug, der sich im Leben
und Treiben seiner Bewohner wiederspiegelt. Die weiten Ebenen und
die leichten Bodenwellen sind arm an wertvolleren Stoffen, ja selbst
an gutem Baumaterial. Es ist kein Zufall, daß in Kirchen⸗ und
Profanbauten alter und neuer Zeit der Ziegel haäufig an die Stelle
des behauenen Steines tritt, und daß selbst zahlreiche künstlerisch
hervorragende Bauwerke — es sei hier nur an cübeck und an das
alte Land des Deutschordens erinnert — ihren eigenartigen Charakter
diesem Umstande verdanken. Die Armut des Erdinnern aber an
wertvollen Mineralien wurde zur Ursache, daß große Mittelpunkte
einer lebhaften industriellen Tätigkeit sich in bedeutenderer Entfernung
vom Gebirgsrande nur an solchen Stelien finden, die zugleich einen
billigen und bequemen verkehr zu Wasser gestatten. Und darum
fehlen dem ganzen Cande überhaupt alle jene Ortschaften, die, wie
so manche Stadt in den Rohlenbezirken, ihre ganze Tätigkeit in dem
Betriebe der Fabriken erschöpfen. Alle hier zu nennenden Plätze der
Großindustrie wie Berlin, hamburg, Magdeburg und andere sind
vielmehr gleichzeitig wichtige handels-⸗ und Verkehrsorte von einer
weit vielseltigeren Bedeutung als die unter dem Einflusse der Gebirgs—
zone herangewachsenen Großstädte. Vor allem aber ist das platte
Tand nirgends mit jenem Walde von ssschornsteinen überzogen, die
wir dort so oft die Gegenden auch außerhalb der Fabrikorte selber decken
sehen und die ganze Landschaften mit dem Rauche ihrer Essen erfüllen.
Im eigentlichen Norddeutschland, das mit rund einer Viertel—
million Quadratkilometer nicht viel weniger als die hälfte des Reiches
einnimmt, liegen von den 37 selbständigen Großstädten des Jahres
1905 nicht mehr als ihrer 1 und nicht weniger als 7 von ihnen
sind als Seehäfen, 2 andere wenigstens als Flußhäfen handelsplätze
ersten Ranges. Dies Vverhältnis zeigt deutlich, welche Rolle in diesem
Teile unseres Vaterlandes das Wasser von jeher gespielt hat. Hier
Hurden die Blicke der Städter schon frühe auf das Meer und auf den
Seehandel gelenkt.
Anders und doch als eine notwendige Ergänzung zu diesem
sstreben der Bürger mußte sich die Bedeutung des platten Landes
hier durchsetzen. An Stelle jenes innigen Zusammenhangs zwischen
Stadt und Land, den wir im Südwesten eutschlands im wirtschaftlichen
Leben des Ganzen wirksam sehen, macht sich hier ein gewisser Gegen—
satz geltend, der in der Vergangenheit namentlich der Länder im
Osten der Elbe nicht selten in tatfächliche Feindschaft ausartete. Und
dennoch wird auch der einsichtige Verfechter städtischen Einflusses
zugeben müssen, daß der große Siaat, der auf diesem Boden erwuchs,
uͤnd der für die schließliche Einigung Deutschlands die festeste Stütze
wurde, in seiner kernigen candbevolkerung und in seinem mit der
sscholle eng verwachsenen Grundadel eine Macht sein eigen nannte,
ohne deren hilfe selbst die genialen Fürsten des hohenzollernhauses
schwerlich das erreicht haben würden, was uns die Regierungszeit