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und Freundlichkeit erwies; aber die Jungfrau weinte und klagte und sehnte sich
nach ihrem elterlichen Hause, und dabei fürchtete sie sich vor dem greulichen
Ungetüm, denn wenn es atmete, so zitterte und bebte der Berg unter ihm.
Der König Gibich schickte Boten aus nach allen Richtungen, um seine
verlorene Tochter zu suchen, aber keiner fand eine Spur von ihr. Darüber
war viele, viele Tage lang großes Trauern und Klagen in der Königsburg.
Siegfried aber ward indessen ein gewaltiger Held von solcher Stärke, daß er
Bären lebendig erjagte und zum Spott an die Bäume hing. Doch auch er
fand trotz seines rastlosen Suchens nirgends die geraubte Jungfrau. Da ver⸗
folgte einmal sein treuester Hund eine seltsame Spur, und Siegfried jagte 10
ihm eifrig nach, ohne an Schlaf oder Trank und Speise zu denken, bis er
endlich am vierten Tag in einen wilden, unwegsamen Wald geriet und sich
völlig verirrte. Hier wäre er wohl verloren gewesen trotz aller seiner Stärke;
aber als er laut über sein Mißgeschick klagte, kam der Zwergkönig Eugel auf
kohlschwarzem Rosse daher. Sein Kleid war von weißer Seide und mit Gold
durchwirkt; auf dem Haupte trug er eine prachtvolle Krone mit so glänzenden
Edelsteinen, daß der dunkle Wald davon erleuchtet ward. Er begrüßte Sieg—
fried freundlich, als ob er ihn lange gekannt hätte, dann aber gebot er ihm
schnell zu fliehen, weil ganz in der Nähe ein Drache hause, der eine schöne
Jungfrau gefangen halte. „Wenn dieser dich erblickt,“ sagte er, „so mußt du 20
dein junges Leben in diesem Walde verlieren.“ Da freute sich Siegfried, der
gefangenen Kriemhild so nahe zu sein, und er erklärte dem Zwerge, daß er
gerade gekommen sei, um sie zu befreien; aber erschrocken rief Eugel: „Du
willst dich solches Dinges unterfangen? Hättest du auch den halben Erdkreis
bezwungen, so würde dir das doch nichts helfen; die Jungfrau müßtest du 25
hier auf dem Felsen lassen. Denn den Schlüssel zu demselben bewahrt der
Riese Kuperan, und ehe du auf die Höhe gelangtest, müßtest du mit ihm
einen Kampf bestehen, wie er auf Erden noch nicht gekämpft worden ist.“
Gerade dies aber lockte den kühnen Siegfried, und was auch der gute Eugel
sagte, um ihn zu warnen, so blieb er doch fest entschlossen, die geraubte 30
Kriemhild aus allen Gefahren zu erretten.
3. Wie Siegfried den Riesen besiegte.
Nun führte der Zwerg den Helden an die Seite des Felsens, wo des
Riesen Behausung war. Siegfried rief laut in die Höhle hinein. Sofort
trat Kuperan hervor, bewaffnet mit einer weit über die Bäume hinausragen⸗
den Stange von Stahl, deren vier Kanten messerscharf waren, und die einen
Klang gab wie eine Kirchenglocke. „Was willst du, junger Bursch, in diesem
Walde?“ sprach der Riese. „Ich will die Jungfrau erlösen,“ antwortete
Siegfried, „welche auf diesem Felsen gefangen sitzt.“ „Hoho!“ sagte jener,
„du kleiner Wicht, da müßtest du erst noch einige Ellen wachsen.“
Jetzt holte der Riese mit seiner Stange aus, um Siegfried niederzu—
schlagen; aber dieser sprang schnell und gewandt fünf Klafter weit zurück, und
sausend fuhr die Stange tief in die Erde hinein. Ehe Kuperan sie aber
wieder herausgezogen halte, sprang Siegfried hinzu und schlug ihm mit seinem
scharfen Schwerte fürchterliche Wunden. Von Schmerz überwältigt, ließ der 45
Riese seine Stange fahren und floh in die Höhle zurück.
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