Full text: [Oberstufe, [Schülerband]] (Oberstufe, [Schülerband])

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kommt aufs Rathaus, da soll alles samt Zinsen bezahlt werden; 
denn wissen sollt ihr? Unser alter Herrgott lebt noch, unser gutes 
Haus steht noch, und die Firma Hermann Gruit van Steen blüht 
noch! Und nun seid erst freudig gegrüßt in der Heimat, mein 
Herr Hermann und Frau Elisabeth, von eurem alten Jansen!“ 
K. v. Schubert, Vorsehung und Menschenschicksale. 
80. Was die Großmutter von Anno 1806 
und 1813 erzählt. 
Also es war Anno Sechs, als der Franzos im Lande rumorte 
und drunten schrecklich hausen sollte; denn er hatte einen großen Sieg 
erfochten. Die Leute fürchteten sich alle sehr, gruben ihre Löffel weg 
und nähten ihren Kindern jedem ein Goldstück in den Rocksaum auf 
den Fall, daß sie abhanden kämen oder mitgenommen würden. Aber 
mein Seliger tat gar nicht, als ob ihn das was anginge. „Wenn 
sie kommen, sind sie da,“ sagte er, und dabei blieb er, und wenn die 
Nachbarn kamen und klagten und jammerten, sagte er nur: „Einmal 
wir, einmal sie!“ Und wenn sie ihm die Ohren zu voll schrien, 
zog er eine weiße Zipfelmütze, die er zu meiner Verwunderung seit 
kurzer Zeit immer in der Tasche führte, darüber und tat, als ob er 
schliefe. Er war immer ein sonderlicher Mann, Annchen, dein Vater. 
Gut. Eines Morgens erhub sich ein Lärm: „Sie sind da!“ Hei— 
liger Gott! mir fuhr's ordentlich in die Knie; meine Jungen, 
Gott hab' sie seligl — in allen Gassen, Gott weiß wo, und nur mein 
Annchen hatt' ich in der Wiege; mein Alter hatte mal wieder die 
Zipfelmütze hervorgekriegt und übergezogen und sägte im Hofe. 
„Goͤttfried, Gottfried!“ schreie ich, „sie sind da! sie sind da!“ 
Er tat, als ob er's nicht hörte, obgleich ich dicht bei ihm stand. In 
meiner Angst und auch vor Ärger riß ich ihm die dumme Mütze ab, 
warf sie auf die Erde und schrie wieder; „Und die Jungen sind auf 
der Straße, — heiliger Vater! — und unsere Löffel! — Mann! — 
Mann!“ Er hob ganz ruhig seine Mütze auf, klopfte die Sägespäne 
an mir ab, sehte sie ruhig wieder auf und sagte: „Ja, wenn's so ist, 
werden sie wohl durchs Wassertor kommen, daher geht der Weg von 
Jena.“ Ich glaube, so hieß es. Dann sägte er weiter. 
Richtig, da trommelte es schon die lange Straße vom Wasser— 
tor her herunter, — mir zitterte das Herz immer mehr! 
„Meister Karsten! Meister Karsten! Schnell, schnell!“ schrien 
plötzlich mehrere Nachbarn, die in den Hof stürzten im besten Sonn— 
lagsstaat. „Ihr solll mit zur Deputation an den französischen Ge— 
nexal!“ „So?“ sagte mein Gottfried, stellte seine Säge hin und ging
	        
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