140 IV. Neuhochdeutsche Zeit. C. Zweite Blütezeit der deutschen Dichtung.
3. Zur Ahnentugend wir uns weihn,
Zum Schutze deiner Hütten!
Wir lieben deutsches Fröhlichsein
Und alte deutsche Sitten.
4. Die Barden sollen Lieb' und Wein,
Doch öfter Tugend preisen
Und sollen biedre Männer sein
In Thaten und in Weisen.
5. Ihr Kraftgesang soll himmelan
Mit Ungestüm sich reißen,
Und jeder echte deutsche Mann
Soll Freund und Bruder heißen!
95. Die Sternseherin.
1. Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk gethan
Und niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern' am Himmel an.
2. Sie gehn da hin und her zerstreut
Wie Lämmer auf der Flur,
In Rudel auch und aufgereiht
Wie Perlen an der Schnur.
3. Nun funkeln alle weit und breit
Und funkeln rein und schön.
Ich seh' die große Herrlichkeit
Und kann mich satt nicht sehn.
4. Daun saget unterm Himmelszelt
Mein Herz mir in der Brust:
„Es giebt was Bess'res in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust."
5. Ich werft mich aus mein Lager hin
Und liege lange wach
Und suche es in meinem Sinn
Und sehne mich danach.
96. Im Junius.
Aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön, wenn der Dorn¬
strauch blüht und die Erde mit Gras und Blumen pranget! So'n heller
Dezembertag ist auch wohl schön und dankenswert, wenn Berg und Thal
in Schnee gekleidet sind und uns Boten in der Morgenstunde der Bart
bereist; aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön! Und der
Wald hat Blätter, und der Vogel singt, und die Saat schießt Ähren, und
dort hängt die Wolke mit dem Bogen vom Himmel, und der fruchtbare
Regen rauscht herab.
Wach auf, mein Herz und singe
Dem Schöpfer aller Dinge u. s. w.
's ist, als ob er vorüberwandele und die Natur habe sein Kommen von
fern gefühlt und stehe bescheiden am Wege in ihrem Feierkleid und
frohlocke!