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III. Das Deutsche Reich.
Gläubiger" bei den Einzelstaaten herumgehe, sondern zu ihrem „frei*
gebigen Versorger" werde. Das von Bismarck erstrebte Reichstabaks¬
monopol (d. h. das Recht der alleinigen Herstellung und des Vertriebs
des Tabaks durch das Reich), welches in den meisten europäischen Staaten
eingeführt ist und hier bedeutende Erträge abwirft sin Frankreich etwa
300 Millionen Fr.), wurde zwar im Reichstage mit Rücksicht auf die heimische
Tabakindustrie und die Belastung der ärmeren Bevölkerung („ba§ Pfeifchen
des armen Mannes") abgelehnt, aber eine Erhöhung der indirekten
Steuern und eine Vermehrung der Zölle, durch die die heimische Land¬
wirtschaft und Industrie gegen den Wettbewerb des Auslandes geschützt
werden sollte, wurde beschlossen. Doch gelangte infolge der sogenannten
Frankensteinschen Klausel nur ein Teil dieser Erträge (130 Millionen Mark)
an das Reich; der Mehrbetrag wurde den Bundesstaaten im Verhältnis
zu den von ihnen entrichteten Matrikularbeiträgen überwiesen, während
diese Beitrüge selbst beibehalten wurden, aber nach dem jeweiligen Be¬
dürfnis schwankten. Um diesem unklaren Verhältnis durch Beseitigung
der Matriknlarbeiträge ein Ende zu machen und dem steigenden Bedarf
des Reiches (Fehlbetrag 1909: 240 Millionen) zu genügen, war eine
Finanzreform unerläßlich. 500 Millionen Mehrertrag an Reichssteuern
schienen erforderlich. Da die indirekten Stenern hauptsächlich die minder¬
bemittelten Klassen belasten, so wünschte man zum Ausgleich eine Steuer
einzuführen, die den Besitz treffen sollte. Zu diesem Zwecke wollte man
die 1906 eingeführte Reichserbschaftssteuer, welche die Anfälle an Nach¬
kommen und Ehegatten freiläßt, zu einer Nachlaßstener erweitern, die
alle Erbfälle über 20000 Mark treffen sollte; doch dieser Vorschlag wurde
von der Mehrheit des Reichstages abgelehnt und dafür teils die alten
Verbrauchs- und Verkehrsstenern erhöht, teils neue eingeführt (Zigaretten-,
Leuchtmittel-, Zündwaren-, Fahrkarten-, Wechsel- und Scheckstener). Um
das finanzielle Verhältnis des Reiches zu den Einzelstaaten festzustellen
und diese vor plötzlich auftretenden Mehrfordernngen zu sichern, sind die
Matriknlarbeiträge nach Abzug der Überweisungen (180 Millionen Mark)
auf 481/2 Millionen Mark (80 Pfennig auf den Kopf der Bevölkerung)
festgesetzt. Den etwaigen Mehrbedarf hat das Reich ans eigenen Mitteln
zu decken. An der von den Gemeinden erhobenen Wertznwachssteuer hat
das Reich einen Anteil von 40^. Alle Einnahmen und Ausgaben des
Reiches werden in dem Reichshaushaltsetat zusammengefaßt und sind jähr¬
lich dem Bundesrate und dem Reichstage zur Genehmigung vorzulegen.
Die Ausgaben des Reiches belaufen sich auf beinahe 3 Milliarden
Mark. Davon beansprucht das Reichsheer etwa 810 Millionen, die Kaiser¬
liche Marine 450, der allgemeine Pensionsfonds 153, das Reichsschatzamt
205*), die Reichsschuldentilgung 280, die innere Verwaltung 90, die Reichs¬
post- und Telegraphenverwaltung 644 Millionen.
*) Darunter 160 Millionen Überweisungen an die Bundesstaaten und 40 Millionen
Kapitalansammlung zur Durchführung der Witwen- und Waisenversorgung.