Full text: Moderne deutsche Dichter

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Der Josenhans und seine Frau hatten keine nahen Verwandten 
im Ort, und doch hörte man laut weinen und die Verstorbenen rühmen, 
und der Schultheiß führte die beiden Kinder hüben und drüben an der 
Hand, als sie hinter den Särgen dreingiengen. Noch am Grabe waren 
die Kinder still und harmlos, ja sie waren fast heiter, wenn sie auch 
oft nach Vater und Mutter fragten, denn sie aßen beim Schultheiß am 
Tische, und jedermann war überaus freundlich gegen sie, und als sie 
vom Tische aufstanden, bekamen sie noch Küchle in ein Vapier gewickelt 
zum Mitnehmen. 
Als am Abend indes, nach Anordnung des Gemeinderaths, der 
Krappenzacher den Dami mitnahm und die schwarze Marann'. die 
Amrei aͤbholte, da wollten sich die Kinder nicht trennen und weinten 
laut und wollten heim. Der Dami ließ sich bald durch allerlei Vor— 
spiegelungen beschwichtigen, Amrei aber musste mit Gewalt gezwungen 
werden, ja sie gieng nicht vom Fleck, und der Großknecht des Schult⸗ 
heißen trug sie endlich auf dem Arme in das Haus der schwarzen 
Marann'. Dort fand sie zwar ihr Bett aus dem Elternhause, aber sie 
wollte sich nicht hineinlegen, bis sie vom Weinen müde auf dem Boden 
einschlief und man sie mitsammt den Kleidern ins Bett steckte. Auch 
den Dami hörte man beim Krappenzacher laut weinen, worauf er dann 
jämmerlich schrie, und bald darauf ward er stille. Die vielverschriene 
schwarze Marann' bewies aber schon an diesem ersten Abende, wie still 
bedacht sie für ihren Pflegling war. Sie hatte schon viele, viele 
Jahre kein Kind mehr in ihrer Umgebung gehabt. und jetzt stand sie vor 
dem schlafenden und sagte fast laut: 
„Glücklicher Kinderschlaf! Das weint noch, und gleich darauf im 
Umsehen ist es eingeschlafen, ohne Dämmern, ohne Hin- und Herwerfen.“ 
Sie seufzte schwer. 
Am andern Morgen gieng Amrei bald zu ihrem Bruder und half ihm 
ankleiden und tröstete ihn über das, was ihm geschehen war; wenn der 
Vater küme, werde er den Krappenzacher schon bezahlen. Dann giengen 
die beiden Kinder hinaus an das elterliche Hans, klopften an die Thüre 
und weinten laut, bis der Kohlenmathes, der in der Nähe wohnte, 
herzukam und sie in die Schule brachte. Er bat den Lehrer, den 
Kindern zu erklären, dass ihre Eltern todt seien, er selber wisse ihnen 
das nicht deutlich zu machen, und besonders die Amrei scheine es gar 
nicht begreifen zu wollen. Der Lehrer that sein Mögliches, und die 
Kinder waren ruhig. Aber von der Schule giengen sie doch wieder 
nach dem Elternhaufe und warteten dort hungernd wie verirrt, bis man 
sie abholte. 
Das Haus des Josenhans musste der Hypothekengläubiger wieder 
au sich ziehen, die Anzahlung, die der Verstorbene darauf gemacht, gieng 
verloren, denn durch die Auswanderungen ist namentlich der Häuserwert 
beispiellos gesunken; es stehen viele Häuser im Dorfe leer, und so blieb 
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