Full text: Moderne deutsche Dichter

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die ihn der tiefe Frieden ringsumher versetzte, sich in dieselbe zu finden. 
Er that, was er die Leute um sich her thun sah, und erwiderte die 
förmlichen Verbeugungen, mit denen man sich hier begegnete, mit dem— 
selben Grade von Ernsthaftigkeit, den er auf einer Maskerade in einem 
Menuet zur Schau getragen haben würde. 
Er hatte es in den ersten Tagen mit den Lehrstunden nicht allzu 
genau genommen und sich desto eifriger mit seinen beiden Zöglingen 
draußen umher getummelt. Sie hatten den Buchwald, der sich von 
Schloss Grenwitz eine halbe Stunde bis hart an das Meer erstreckte, 
nach allen Richtungen durchstreift, hatten ein Hünengrab und eine Höhle 
entdeckt, und waren oft schon von den hohen Kreidefelsen zum Strand 
hinabgeklettert, hatten dort, auf einem mächtigen Rollsteine stehend, die 
Flut heranbrausen sehen und gejubelt, wenn der Donner der Brandung 
ihre Stimmen übertönte. 
Auf diesen Streifzügen, die Oswald scherzend Vorstudien zum Homer 
nannte, hatte er vielfach Gelegenheit, die Naturen seiner beiden Zöglinge 
zu beobachten. Ein größerer Gegensatz war kaum denkbar. Bruno war 
groß für seine Jahre, dabei schlank und geschmeidig und schnell wie ein 
Hirsch. Malte, der junge Majoratsherr, sah neben seinem stolzen Ge— 
fährten zurückgeblieben und verkümmert aus. Seine Schultern waren 
schmal, seine Brust eingesunken, und seine eckigen und unschönen Bewe⸗ 
gungen stachen seltsam gegen die hinreißende wilde Anmuth ab, mit der 
Bruno gieng, lief und sprang. Malte scheute vor jeder Gefahr, ja vor 
jeder Anstrengung, im Gefühl seiner Körperschwäche und aus angeborener 
oder anerzogener Feigheit zurück; für Bruno war kein Baum zu hoch, 
kein Felsen zu steil, kein Graben zu breit, ja es schien, als ob er ge⸗ 
flissentlich die Glut seiner Seele durch körperliche Ermüdung dämpfen 
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Knaben auf die bläulich-schwarzen Locken, um ihn einem jungen Bac— 
chanten noch ähnlicher zu machen. Aber wie in seinem Heimatlande 
Schweden aus eisiger Winternacht urplötzlich der duftende, lächelnde 
Fruͤhlingsmorgen hervorblüht, so wechselten Sonnenschein und Sturm 
in seinem Gemüthe — übermüthige Lust und an Schwermuth grenzende 
Niedergeschlagenheit, herzliches, fast kindisches Sichhingeben und düsterer, 
mehr als knabenhafter Trotz — schnell und unvermittelt wie Lichter und 
Schatten auf den Hängen eines Gebirges an einem Tage, wo der Wind 
die Wolken pfeilschnell an der Sonne vorüberjagt. So fand Oswald 
den Knaben, einen Fremdling im Hause seiner Verwandten, von den 
einen gehasst, von den andern gefürchtet, ein unergründliches Räthsel 
für alle, selbst für den alten guten Baron, der dem Knaben, oft mehr 
aus angeborener Großmuth als aus Überzeugung, stets das Wort redete. 
Aber fuͤr Oswald hatte ein Blick in das traumumflorte dunkle Auge 
des Knaben genügt, den verwandten Dämon zu erkennen, und den my— 
stischen Bund, den sie in jenem Augenblick geschlossen, hatte jede Stunde 
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