Full text: Moderne deutsche Dichter

268 — 
stand das Mädchen immer seitwärts, still und scheu, zwischen den Haar⸗ 
büscheln hervorschielend, die Hände unter der blauen Schürze verborgen, 
welche länger war als das Röcklein. Wurde das Käferl in seinem Jubel 
über eine deue Gabe besonders laut, dann trat wohl auch der Wanger 
unter die Thür der Werkstätte, schüttelte die Späne vom Schurzfell, 
nickte mir dankbar zu und lachte .... 
Nun war es im Monat August. Früh vor Tag war ich zur Reh— 
birsch ausgezogen und hatte mich, als der Sonnenaufgang die Birschzeit 
endeie, inmitten einer jungen, steil zu einem Waldweg abfallenden 
Schonung zur Rast ins blumige Kraut gelegt. Es war ein herrlicher 
Morgen; der Himmel von reiner Bläue, die Luft erfüllt mit allen Wohl⸗ 
gerüchen des sommerlichen Waldes und durchzittert vom weißen Glanz 
der Morgensonne. Mir gegenüber, jenseits des Fuhrwegs, stieg der 
Hochwald steil aus einem tiefen Graben empor, und die Rinde seiner 
Buchenstämme schimmerte wie graue Seide. Ringsum mich her in den 
jungen Büschen pisperten die Kohlmeisen, im tieferen Dickicht flötete 
eine Goldamsel, und vom Hochwald herüber klang das Gurren der jungen 
Ringeltauben. 
20 
25 
30 
35 
40 
In solcher Stunde überkommt dich ein unbeschreiblich süßes Be— 
hagen. Die Hände hinter dem Nacken verschlungen, liegst du lang aus— 
geuͤreckt und dehnst die Glieder, und während du emporblinzelst in das 
endlose, sonnige Blau, während Vogelgesang und das Summen der 
wilden Immen dein Ohr umschmeichelt, erlöschen deine Gedanken, und 
es ist nur noch die eine Empfindung in dir, nur wohl das einzige Ge— 
fühl: wie schön die Erde ist, wie gut und freundlich das Leben .... 
Aus solchen Träumereien weckte mich ein knarrendes Gepolter und 
eine helle Kinderstimme; ich erkannte sie gleich: es war das Käferl. 
„Hüo! Hüo! Hüstahoo!“ schrie das Bürschlein, und ein matter Peitschen— 
tnall begleitete seine Rufe. Ich richtete mich auf und deckte die Hand 
über die Augen. Drunten auf dem Waldweg zogen zwei Ochsen einen 
Leiterwagen vorüber, welcher mit Deichselholz, mit langen, spiralförmig 
entrindeten Birkenstangen hoch beladen war. Und zu oberst auf den 
Stangen saß das Käferl, schlenkerte das Leitseil, schwang die Peitsche und 
jubelte: „Hüo! Hüstahoo!“ Etwa 50 Schritte hinter dem Wagen gieng 
der Wanger, die Hände hinter dem Schurzfell, mit einem Holzknecht 
plaudernd, der die Axt auf der Schulter trug. 
Ich wollte mich erheben ... da kam es mir plötzlich vor, als 
neige sich der Wagen auf die Seite. Erschrocken sprang ich auf. 
„Wanger!“ wollte ich rufen ... aber das Wort blieb mir in der 
Kehle. Ein angstvoller Schrei des Knaben schlug an mein Ohr, der 
Wagen schwankte, seine Räder glitten hinaus über den Rand des Weges, 
das Kind verschwand, und das Geprafsel der vom Wagen rollenden und 
in den Graben stürzenden Stangen weckte ein dumpfes Echo rings im 
Wald.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.