Full text: Moderne deutsche Dichter

— 272 — 
Goethes Geburtstag. 
Prolog, gesprochen im Münchener Hoftheater am Tage 
der Enthüllung des Goethe-Denkmals (1869) 
Ein hoher Schatten wandelt durch das Haus, 
Den stillen Raum mit stillerm Fuß durchschreitend, 
Und wo so oft sein mächtig Wort ertönt, 
Winkt heut' sein stummer Geist, in edlem Drang, 
Als Schatten euch, die Lebenden, zu grüßen. 
Erhöht in dieser kunstgeweihten Stadt 
Sieht er sein erznes Bild, im Sonnenglanz 
Als eines Königs Dank ihm aufgerichtet; 
Versammelt hier, im Tempel seiner Kunst, 
Von nah und ferne, sieht er die Gemeine, 
Die seinen Tag mit ihm zu feiern kommt. 
Und wie des Berges einsam ferner Quell, 
Von Wolkenflut genährt, zu Thale rauscht 
Und still gewaltig wächst, und endlich breit 
Und segnend durch der Menschen Städte wandelt: 
So sieht sein Geist die Ströme seiner Kraft 
Im Thal der Zeit befruchtend ausgebreitet; 
Von Herz zu Herzen schwingt sich sein Gesang, 
Der Bühne luft'ger Bau erstrahlt für ihn, 
Und was sich einsam seiner Brust entrungen, 
Der ganzen Erde scheint es zugesungen. 
Hinweg, Jahrhundert! und allein mit sich, 
In unerschlossner, zwanzigjähriger Ingend, 
Begrüßet Goethe diesen Feiertag. 
Noch kennt die Erde seinen Namen nicht, 
Noch hüllt ihn rings ein neid'scher Nebel ein; 
Doch mit der Morgensonne Jugendkraft 
Erglüht er schon, die Nebel zu zertheilen, 
Und wie der Fürst der Musen tritt er vor; 
Es strahlt sein lockig Haupt, sein Auge strahlt 
Von feuriger Lust, von seelenvollem Leid; 
Die Zither tönt, es tönet sein Gesang 
Und rauscht die Höhen, wallt das Thal entlang. 
Besonnt erglänzt um ihn das deutsche Land, 
Der Ritter grüßt ihn mit der Eisenhand; 
Der Glocken Sturm, der Burgen Feuerschein, 
Des Krieges Jagdlust und des Sterbens Pein, 
Des deutschen Herdes Glück und Lieb' und Noth, 
Und deutsche Treue, siegend noch im Tod — 
Er fühlt's, er lebt's, er bannt's in Lieb und Wort, 
Und herrlich tönt's von Land zu Lande fort.
	        
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