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An Theodor Storm.
Viel dunkelrothe Rosen schütt' ich dir
Um deines Marmorsarges weiße Wände
Und senke meine Stirn dem kalten Stein:
Du warst ein Dichter, den ich sehr geliebt,
Und den ich lieben werde bis ans Grab.
Du warst ein Dichter — denn was du erlebt,
Vielleicht von einem Tropfen nur Erinuern,
Trieb eine Knospe; welche Blume dann
Aus ihr erwuchs, das gab dir Phantasie.
Die Phantasie, wie denn? ein bunter Vogel
Der aus der Morgenröthe uns besucht?
Ein ungeschlachtes Ungethüm, das donnernd
Die Fluͤgel ragt von Ocean hin zu Ocean,
Und sich in Hoͤhen hebt, dass unser Nacken
Sich staunend nachbiegt wie dem Erzengel,
Wenn glänzend er den Flug durch Wolken nimmt?
Du hattest Phantasie, ein selten Ding
In unsern nüchternen Verstandeszeiten.
Du warst ein Dichter, und du warst ein Künstler.
Ein Dichter: wohl aus tausend Quellen rinnt es,
Die unterirdisch laufen, rinnt's ihm zu.
Noch fand kein Mensch je, was den Dichter schuf.
Wie tief doch sahst du in ein Menschenherz,
Und unser Heimatland, das ernste, treue,
Mit ewiger Feuchte, seltnem Sonnenblick,
Du kanntest seine Art. Kein andrer wohl
Nahm so den Erdgernch aus Wald und Feld
In seine Schrift wie du.
Schrieb einer je, den siebzig Winter drückten,
Ein solches „Hochzeitsfest“? War's nicht ein Jüngling,
Der siebzehnjährig heiß die Laute schlug
Vor seiner Liebsten Thür im sanften Mond,
Im Sehnsuchtspuls der Nachtigallenlieder?
Wohl trifft es sich, dass laut und polternd wirft
Ein herrlich Dichterherz mit rohem Gold
Und kann es nimmer zwingen zum Geräth:
Ihm fehlt die Künstlerhand, dir wurde sie.
Viel dunkelrothe Rosen schütt' ich dir
Um deines Marmorsarges weiße Wände
Und senke meine Stirn dem großen Dichter
Den ich so sehr, so sehr geliebt.