280 
Ferdinand Freiligrath. 
280. Löwenritt. 
1. Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen, 
Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. 
Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre; 
Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sykomore. 
2. Abends, wenn die hellen Feuer glühn im Hottentottenkraale, 
Wenn des jähen Tafelberges bunte, wechselnde Signale 
Nicht mehr glänzen, wenn der Kaffer einsam schweift durch die Karroo, 
Wenn im Busch die Antilope schlummert und am Strom das Gnu: 
3. Sieh, dann schreitet majestätisch durch die Wüste die Giraffe, 
Dass mit der Lagune trüben Fluten sie die heiße, schlaffe 
Zunge kühle; lechzend eilt sie durch der Wüste nackte Strecken, 
Kniend schlürft sie langen Halses aus dem schlammgefüllten Becken. 
4. Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken 
Springt der Löwe. Welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken 
In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen 
Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen? 
5. In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne; 
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne. 
Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und fliegt gepeinigt; 
Sieh, wie Schnelle des Kameeles es mit Pardelhaut vereinigt! 
6. Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füßen! 
Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen 
An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen, 
Und das Herz des flücht'gen Thieres hört die stille Wüste klopfen. 
7. Gleich der Wolke, deren Leuchten Israel im Lande Yemen 
Führte, wie ein Geist der Wüste, wie ein fahler, luft'ger Schemen, 
Eine sandgeformte Trombe in der Wüste sand'gem Meer, 
Wirbelt eine gelbe Säule Sandes hinter ihnen her. 
8. Ihrem Zuge folgt der Geier; krächzend schwirrt er durch die Lüfte; 
Ihrer Spur folgt die Hyäne, die Entweiherin der Grüsfte, 
Folgt der Panther, der des Caplands Hürden räuberisch verheerte; 
Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte. 
9. Zagend auf lebend'gem Throne sehn sie den Gebieter sitzen 
Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen. 
Rastlos, bis die Kraft ihr schwindet, muss ihn die Giraffe tragen; 
Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen. 
10. Taumelnd an der Wüste Saume stürzt sie hin und röchelt leise. 
Todt, bedeckt mit Staub und Schaume, wird das Ross des Reiters Speise. 
Über Madagaskar, fern im Osten, sieht man Frühlicht glänzen; 
So durchsprengt der Thiere König nächtlich seines Reiches Grenzen.
	        
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