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4. Und diesen Gott sollt' ich nicht ehren
Und seine Güte nicht verstehn?
Er sollte rufen, ich nicht hören,
Den Weg, den er mir zeigt, nicht gehn?
Sein Will' ist mir ins Herz geschrieben,
Sein Wort bestärkt ihn ewiglich:
Gott soll ich über alles lieben
Und meinen Nächsten gleich als mich.
5. Dies ist mein Dank, dies ist sein Wille,
Ich soll vollkommen sein wie er.
Solang ich dies Gebot erfülle,
Stell' ich sein Bildnis in mir her.
Lebt seine Lieb' in meiner Seele,
So treibt sie mich zu jeder Pflicht;
Und ob ich schon aus Schwachheit fehle,
Herrscht doch in mir die Sünde nicht.
6. O Gott, lass deine Güt' und Liebe
Mir immerdar vor Augen sein!
Sie stärk' in mir die guten Triebe,
Mein ganzes Leben dir zu weihn;
Sie tröste mich zur Zeit der Schmerzen,
Sie leite mich zur Zeit des Glücks,
Und sie besieg' in meinem Herzen
Die Furcht des letzten Augenblicks.
36. Damokles.
Als den Tyrannen Dionys
Ein Schmeichler einstens glücklich pries
Und aus dem Glanz der äußerlichen Ehre,
Aus reichem Überfluss an Volk und Gold erwies,
Dass sein Tyrann unendlich glücklich wäre;
Als dies Damokles einst gethan,
Fieng Dionys zu diesem Schmeichler an:
„So sehr mein Glück dich eingenommen,
So kennst du es doch unvollkommen;
Doch schmecktest du es selbst, wie würde dich's erfreun!
Willst du einmal an meiner Stelle sein?“
„Von Herzen gern!“ fällt ihm Damokles ein.
Ein goldner Stuhl wird schnell für ihn herbeigebracht.
Er sitzt und sieht auf beiden Seiten
15 Der Hohen größte Herrlichkeiten,
Die Stolz und Wollust ausgedacht.
Von Purpur prangen alle Wände,
Bold schmückt die Tafel aus, im Golde perlt der Wein.
Deutsches Lesebuch. VIII.
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