fullscreen: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

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II. Epische Dichtungen. 
13. Da weichen Erd' und Steine, 
Es thut sich auf der Sarg, 
Der lange die Gebeine 
Des größten Helden barg. 
14. Da streckt des Kaisers Leiche 
Die Knochenarme aus, 
Und zieht das Kind, das bleiche, 
Hinab in's Bretterhans; 
15. Und ziehet es hernieder: 
„So seh' ich, theurer Sohn, 
Seh' ich dich endlich wieder, 
Mein Kind Napoleon!" 
16. Und rücket au die Seite 
Und rücket an die Wand: 
„Mein Kind, das ist die Breite 
Von meinem ganzen Land!" 
17. Da schlingen die Gerippe 
Die Knochen ineinand" 
Und liegen Lipp' an Lippe, 
Und liegen Hand in Hand. — 
18. Und zu derselben Stunde 
Schließt auch das Grab sich schon.' — 
Das war die letzte Stunde 
Vom Haus Napoleon. 
81. Belsazar. 
Von Heinrich Heine. 
1. Die Mitternacht zog näher schon; 
In stummer Ruh' lag Babylon. 
2. Nur oben in des Königs Schloß, 
Da flackert's, da lärmt des Königs Troß. 
3. Dort oben, in dem Königssaal, 
Belsazar hielt sein Königsmahl. 
4. Die Knechte saßen in schimmernden Reih'n 
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein. 
5. Es klirrten die Becher, es jauchzten die 
Knecht'; 
So klang es dem störrigen Könige recht. 
6. Des Königs Wangen leuchten Gluth; 
Im Wein erwuchs ihm kecker Muth. 
7. Und blindlings reißt der Muth ihn fort, 
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort. 
8. Und er brüstet sich frech und lästert wild; 
Die Knechteschaar ihm Beifall brüllt. 
9. Der König rief mit stolzem Blick; 
Dsr Diener eilt und kehrt zurück. 
10. Er trug viel gülden Geräth auf dem Haupt; 
Das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt. 
11. Und der König ergriff mit Frevlerhand 
Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand. 
12. Und er leert ihn hastig bis auf den 
Grund, 
Und rufet laut mit schäumendem Mund: 
13. „Jehovah, dir künd' ich auf ewig 
Hohn! — 
Ich bin der König von Babylon!" 
14. Doch kaum das grause Wort verklang, 
Dem König ward's heimlich im Busen bang. 
16. Das gellende Lachen verstummte zumal; 
Es wurde leichenstill im Saal. 
16. Und sieh, und sieh! an weißer Wand 
Da kam's hervor wie Menschenhand! 
17. Und schrieb, und schrieb an weißer 
Wand 
Buchstaben von Feuer, und schrieb und 
schwand, 
18. Der König stieren Blicks da saß, 
Mit schlotternden Knieen und todtenblaß. 
19. Die Knechteschaar saß kalt durchgraut, 
Und saß gar still, gab keinen Laut. 
20. Die Magier kamen, doch keiner verstand 
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand. 
21. Belsazax ward aber in selbiger Nacht 
Von seinen Knechten umgebracht. 
82. Ein Friedhofsgang. 
Von I. Nep. Vogel. 
1. Beim Todtengräber pocht es an, 
„Mach' auf, mach' auf, du greiser Mann! 
2. Thu' auf die Thür' und nimm den Stab, 
Mußt zeigen mir ein theures Grab." 
3. Ein Fremder spricht's, mit strupp'gem Bart, 
Verbrannt und rauh, nach Kriegerart. 
4. „„Wie heißt der Theure, der Euch starb 
Und sich ein Pfühl bei mir erwarb?"" 
5. „Die Mutter ist es, kennt Ihr nicht 
Der Marthe Sohn mehr am Gesicht?" 
6. „„Hilf Gott, wie groß, wie braungebrannt! 
Hätt' nun und nimmer Euch erkannt, 
7. Doch kommt und seht, hier ist der Ort, 
Nach dem gefragt mich Euer Wort. 
8. Hier wohnt, verhüllt von Erd' und Stein, 
Nun Euer todtes Mütterlein."" 
9. Da steht der Krieger lang' und schweigt, 
Das Haupt hinab zur Brust geneigt. 
10. Er steht und starrt zum theuren Grab 
Mit thränenfeuchtem Blick hinab. 
11. Dann schüttelt er sein Haupt und spricht: 
„Ihr irrt, hier wohnt die Todte nicht. 
12. Wie schlöß' ein Raum, so eng und klein, 
Die Liebe einer Mutter ein!?"
	        
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