Full text: Preußischer Kinderfreund

Giessbäche bald wie silberne Bänder, bald wie glänzende Wasserbogen oft mehrere 
hundert Fuss herab. Auf den kräuterreichen Berglehnen weiden zahlreiche Rinder¬ 
und Ziegenheerden, von Sennhirten sorgsam gehütet, und nahe der Grenze des 
ewigen Schnee’s grasen in kleinen Trupps die muntern Gemsen, denen der 
kühne Alpenjäger nachstellt. In den anmuthigen, grünen Thälern liegen an den 
Gewässern entlang die Gebirgsdörfer mit ihren hölzernen Häusern, deren Dächer 
weit über die Wände hervorragen und gegen den Sturm mit grossen Steinen be¬ 
schwert sind. Eben so sieht man darin kleine, schmucke Städte, in denen treu¬ 
herzige Leute ihren Unterhalt mit Ackerbau, Holzschnitzerei, mit Weben oder 
saurer Hüttenarbeit erwerben. 
Da ist überall sehr viel zu sehen. Es liegen auch in den Thälern bald 
grössere, bald kleinere Seen mit reizenden bewaldeten Ufern oder mit schönen 
Obst- und Kastanien-Alleen in der Nähe; und auf den Seen sieht man kleine 
Schiffe und Kähne dahinrudern, dass es eine Lust ist. An den Ufern ziehen Dör¬ 
fer, Weinberge und Landhäuser sich hin. Oft glaubt man in einer ewigen Einöde 
voll rauher Felsen und finsterer Tannen zu sein; auf einmal aber wendet sich der 
Weg, und eine Wiese mit dem schönsten Grün und von Rindern belebt, öffnet 
sich dem Auge. Dicht daneben erheben sich steile Felsen bis zu einer ungeheuren 
Höhe und hohe Fichten und Tannen blicken, wie in der Luft schwebend, von 
ihnen herab, 
Die Alpenthäler sind tief unten mit Aeckern und Gärten fleissig angebaut, 
weiter bergan mit fetten Weiden für Rinder- und Ziegenheerden geschmückt und 
noch höher hinauf mit mächtigen, düstern Tannenwaldungen, die je weiter empor, 
desto spärlicher und seltener werden, bis die höchsten Alpenwiesen zwischen Felsen¬ 
gehängen mit ihren würzigen Kräutern und feinem Grase und mit ihren prächti¬ 
gen, duftenden Alpenrosen bis an die Grenzen des nie wegschmelzenden Schnee’s 
Stössen. Auf den hohen Gebirgswiesen trifft der Wanderer nur einzelne Senn¬ 
hütten, wo im Sommer die Senner und Sennerinnen Butter und Käse be¬ 
reiten, und das Vieh gegen stürmisches Wetter ein schützendes Obdach findet. An 
schwindelnd steilen Felswänden hin führen die Fusspfade, oft auf schmalen Brücken 
über grausig tiefe Abgründe. Da aber, wo kein menschlicher Fuss sich mehr hin¬ 
wagt, wo die Gletscher sich thürmen und die Gipfel im ewigen Schnee weithin 
glänzen, da herrscht Todesstille, wenn nicht gerade die Stürme wüthen. 
Von Tyrol an, da wo der Rhein zuerst Deutschlands.Grenze berührt und 
wo der Inn bei Finstermünz dieselbe überschreitet, wo die 12,000 Fuss hohe 
Ortles-Spitze weit über Italien und Tyrol hinblickt: da werden die Alpen 
deutsches Gebirge, ln einem breiten Hauptzuge, von dessen hohen Gletschern 
zahlreiche Gebirgswässer nach Norden zum Inn, nach Süden zur Etsch herab- 
fliessen, zieht es sich bis zu dem 11,000 Fuss hohen Glöckner. Dort theilt es 
sich und sendet allmählig herabsinkende Seitenzweige in die slavischen Länder der 
österreichische Krone, nach Kärnthen und Krain, aber höhere Züge nach der 
Donau zu, die in ihren Schluchten und Kesseln prächtige Alpenseen umschliessen, 
Avie bei Haffstadt und Gemünd. Da, wo die hohen Ketten allmählig sich senken 
und durch mannigfaltige Seitenzweige die Steiermark und lllyrien füllen, wo 
die Drau und Sau als starke Nebenflüsse der Donau zwei sich immer mehr wei¬ 
tende Thäler bilden, da ist die Werkstätte der Schmiede, deren Sensen fast durch 
ganz Europa zur Ernte helfen. In den fruchtbaren Ebenen gedeihen Weizen und 
Mais, Obst, Kastanien und Wein. Doch auf den Gipfeln und Hörnern gibt es 
auch hier noch viel Schnee und Eis; an den Felsgraten hängen wie in der Schweiz 
und dem vordem Tyrol die Horste des Lämmergeiers, der den flüchtigen 
Gemsen und Alpenhasen nachstellt. Zahllose Alpenhörner werden im ersten Mor¬ 
genstrahl der Sonne mit rosigem Schimmer umhaucht, und wenn die Sonne unter¬ 
gesunken und das Thal schon in nächtliches Dunkel gehüllt ist, erglühen sie noch 
lange und flammen an ihren Spitzen, als wären es Vulkane. 
Vom Nordfusse der Alpen an streckt sich das süddeutsche Hochland bis
	        
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