H 631. Das katholische Kirchenthum. 95 
ohne die innersten Triebfedern des großen Maschinenwerks, dessen Räder sie waren, zu 
kennen. Der Eintretende mußte alle Bande, die ihn an die Welt knüpften, lösen, den 
Orden als Vaterland, die Obern als seine Vorsehung betrachten. Dadurch wurde es 
möglich daß ein unveränderlicher Wille den ganzen Bund in allen Welttheilen be¬ 
herrschte. — Die Wirksamkeit und Verbreitung der Gesellschaft Jesu war in Kurzem 
sehr ausgedehnt. Die päpstliche Curie verlieh ihr nicht nur alle Privilegien der Bettel¬ 
mönche, sondern stellte ihr auch jede Art von Dispensation zu Gebot, so daß die Glieder 
in alle Verhältnisse des Lebens eindringen und sich allenthalben frei bewegen konnten; 
und damit der Zweck des Bundes nie durch ein anderes Streben gefährdet werde, schlossen 
sich die Jesuiten selbst von allen festen Aemtern und Kirchenwürden aus. Die Beschästt- 
gungen der Mitglieder waren mannichfach und nach den Gaben und Geistesrichtungen 
eines Jeden geregelt. Dem Einen gestattete man ein frommes Klosterleben oder wissen¬ 
schaftliche Muße, Andere leiteten den Unterricht der Äugend; die Klügsten und Feinsten 
suchten eine einflußreiche Wirksamkeit an Höfen und in Palästen, feurige Redner wirkten 
als Prediger der innern Mission und die Eiferer zogen als Heidenbekehrer in fremde 
Welttheile. 
Heidenmission. In Indien, China, Japan (Xaver), auf Ceylon, den indischen 
Inseln und in Afrika errichteten die Jesuiten Anstalten und führten dem Papste Gläubige zu; in 
Südamerika gründeten sie einen eigenen Staat (Paraguay) und in Brasilien und den 
spanischen Colonien waren sie zahlreich und mächtig. Klug verbanden sie Geistliches und 
Weltliches. Handelsunternehmungen mehrten den Reichthum, den sie in ihren Kirchen voll 
Pracht aber ohne Geschmack zur Schau stellten. Später erhielten die Unternehmungen zur Ver¬ 
breitung des katholischen Glaubens jenseit des Weltmeeres eine geregelte Leitung und Unterstützung 
durch die Congregation der „Glaubeuspropaganda" in Rom und das Collegium der 
Propaganda. 
§. 631. Grundsätze und Wirksamkeit. Das Hauptziel des Ordens 
war die Bekämpfung des Protestantismus und die Unterdrückung der durch 
die Reformation ins Volk eingedrungenen G eist es fr ei heit. Nach diesem Ziele 
strebten sie auf verschiedenen Wegen; durch Ueberreduug und Verführung suchten 
sie die Anhänger des neuen Glaubens zur Rückkehr in die alte Kirche zu bringen; der 
Beichtstuhl mußte ihnen dienen, um Fürsten und einflußreiche Personen zu Gegen¬ 
reformationen und zur Beschränkung der Glaubensfreiheit zu bewegen, und durch Be¬ 
herrschung des Jugendunterrichts suchten sieden Glaubender jungen Geschlechter 
zu bilden und deren Geistesrichtung zu lenken. Beichtstuhl und Hörsaal waren das Feld 
ihrer Thätigkeit; in jenem wirkten sie für die Gegenwart, in diesem für die Zukunft, unv 
die Vermächtnisse und Schenkungen, die sie dort zu erwirken wußten, dienten oft zur 
Gründung von Collegien und Seminarien. Der Reichthum des Ordens erleichterte die 
Errichtung und Unterhaltung der Jesuitenanstalten, die, mit Allem reichlich ver¬ 
sehen, bei Ertheilnng des Unterrichts freigebig zu Werke gingen und dadurch manchen 
Dürftigen anlockten. Daß sie aber nicht wie die Bettelorden des Mittelalters ihre Sache 
blos auf klösterliche Frömmigkeit und religiösen Eifer gründeten, sondern auch zeitgemäße 
Wissenschaften in ihren Bereich zogen, geschah in der richtigen Einsicht, daß gerade die 
geistige Verdumpfung und Unwissenheit der Klostergeistlichkeit der Reformation den größten 
Vorschub gethan, und daß folglich der neue Glaube und die neue Erkenntniß nur dadurch 
; erfolgreich bekämpft werden könnten, daß man den geistigen Bedürfnissen der Zeit entgegen 
komme, der Bildung aber eine andere, weniger gefährliche Richtung und Gestalt gebe; 
| darum ließen die Jesuiten den veralteten Scholasticismus fahren, schlugen aber den Geist 
k in neue, nicht minder beengende Fesseln. Und wie der Jesuitenorden durch sein Ziel 
I der Störer des cousessionellen Friedens, durch seine Lehrweise der Feind 
I der Geistesfreiheit und Volksaufklärung wurde, so durch seine gefährliche 
Moral der Vernichter von Treu und Glauben und der Verbreiter heim¬ 
tückisch e r u n d f a l f ch e r G r u n d f ä tz e. Die im fünfzehnten Jahrhundert ausgebildete, 
; jedes menschliche und christliche Gefühl empörende und jede Rechtssicherheit gefährdende
	        
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