Full text: Lesebuch für weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen

113. Einst und jetzt. 
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Mit dem Boten kamen nicht selten Reisende, die gleichsam im Schutze 
desselben ihren Weg machten. Bergauf gingen sie neben dem Wagen her, 
bergab und auf ebener Straße durften sie aufsitzen, natürlich gegen ein kleines 
Entgelt. Eine Fahrt mit dem Boten war vor 50 Jahren sehr beliebt und 
bei Frauen geringeren Standes fast ausschließlich im Gebrauch. Die Männer 
dagegen reisten lieber gleich mit des Schusters Rappen und dann und wann 
sah man selbst noch einen wirklichen Reifenden zu Pferd. Die Postkutsche 
zu gebrauchen, war damals sehr kostspielig und konnte nur von den Reichen 
bestritten werden; außerdem waren die Postwagen unbequem, schwerfällig 
und nur für eine sehr beschränkte Zahl von Reisenden eingerichtet. Angenehmer, 
bequemer, rascher, aber auch teurer war das Reisen mit Extrapost. Da fuhr 
man in gepolsterten Kutschen, oft auch im eigenen Wagen von Ort zu Ort, 
erhielt an jeder Poststation frische Pferde und einen anderen Postillon, der 
nicht selten seine Fahrgäste angenehm zu unterhalten wußte, aber auch auf 
ein gutes Trinkgeld rechnete. — Wie staunten wir Kinder, wenn einmal eine 
Extrapost durch unser Städtchen fuhr! Der Posthalter, ein gar schlauer Mann, 
brachte schnell heraus, wer der vornehme Heer sei, und das gab dann ein 
Gerede für 8 Tage. Meistens kam der hohe Reisende direkt von Paris und 
fuhr nach Wien oder umgekehrt. 
Mein Vater selbst reiste weder zu Fuß noch mit dem Boten noch mit 
der Post, sondern mit Lohnfuhrwerk. Da gab es im Städtchen mehrere 
„Rößler", kleinere Ökonomen; die hatten auch einen Gaul und ein Schweizer¬ 
wägelchen und verliehen Pferd und Wagen gegen billiges Geld an Bekannte. 
Man mußte aber selbst kutschieren und gewöhnlich das Fuhrwerk lange vor¬ 
her bestellt haben. 
So war es vor 50 Jahren. Wie ganz anders ist es heutzutage! Mein 
Heimatsort ist noch dasselbe kleine Städtchen und hat kaum um ein Dutzend 
Häuser und 100 Einwohner zugenommen; aber der Verkehr hat sich gänzlich 
umgestaltet. Hart an den Mauern führt die Eisenbahn vorbei und gleich 
neben dem Tore liegt der hübsche Bahnhof. Da kommen täglich 6 Personen¬ 
züge von verschiedenen Richtungen an; Sonn- und Feiertags gibt es noch 
besondere Vergnügungszüge. Jeder Zug nimmt Reisende mit und in 1 Stunde 
hat man schon Strecken hinter sich, die früher kaum in einer Tagreise zu¬ 
rückgelegt werden konnten. Jeder Zug bringt Briefe, Pakete und Güter und 
befördert wieder andere sogar in die fernsten Gegenden, wie es früher kaum 
möglich schien. Briefe und Poststücke werden jetzt des Tages dreimal aus¬ 
getragen. Auf dem Bahnhöfe stehen Kofferträger und Dienstmänner, zu be¬ 
sonderen Dienstleistungen jederzeit bereit. 
Der Güterverkehr hat durch die Eisenbahnen einen unglaublichen Auf¬ 
schwung genommen. In langen Reihen rollen die schwerbepackten Güter¬ 
wagen auf den Eisenschienen eiligst daher, überklettern mit ihren Lasten hohe 
Berge, kriechen durch meilenlange Tunnels, verbinden die entferntesten Länder 
mit uns und bringen deren Erzeugnisse in wenigen Tagen auf unsern Markt.
	        
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