Object: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen im Königreich Preußen

Ein Tag auf dem Marschhofe. 
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Eine stattliche, achtunggebietende Erscheinung ist der Alte. 
Milde, herzgewinnende Treuherzigkeit schauen ihm aus den Augen, 
aber doch gepaart mit dem würdigsten Ernst. 
Nur ein freier, reicher Bauernstand vermag solche imponie— 
rende Gestalten zu erzeugen und auszuprägen. Folgen wir jetzt 
seinen Schritten! 
Er springt mit seinem Klubenstock zwar behutsam, indes trotz 
seiner sechzig Jahre noch immer recht behende über ein paar Gräben 
und wendet sich zuerst nach seinen Weiden. 
Allerlei Jungvieh ist bereits draußen; aber seine dreijährigen 
Ochsen, die nächsten Herbst, so Gott will, ihm in England gute 
Guineen lösen sollen, und die Milchkühe und jungen Kälber sind noch 
im Stalle. Aber prächtiges Gras schon und ein herrliches Wetter — 
wenn das noch etwas anhält, denkt er, will er vor Maitag alles 
„hinausjagen“. 
Er springt wieder über einige Gräben und kommt zu seinem 
Acker, wo sein Sohn sät und der Knecht gerade beim letzten Stück zu 
pflügen ist; „na, wo geit't jo dermit?“ fragt er. „Got, Herr, dat 
Land ward fein,“ antwortet freundlich und kurz der blonde, kräftige 
Knecht, ohne aufzuhalten, „vor Middag krieg ickt rum.“ — „Paßt 
man got op.“ — „Ja, Herr!“ Jetzt redet er mit seinem Sohne, der 
eben das Stück vollgesät hat und sich nun kräftig gewandt auf eins 
der Pferde schwingt, die vor die Egge gespannt sind. Fort geht's 
wieder und der Junge mit der zweiten Egge hinterdrein. 
Lange schaute der Alte dem Sohne zu. Er mag sich wohl still in 
der Seele freuen, zu sehen, wie der schlanke und kraftvolle Junge 
so nobel und stattlich zu Pferde sitzt; wie frisch und arbeitsfreudig er 
von früh bis spät drauf und dran ist und wie er gepflügt und die 
Furchen gelegt hat, eine um nichts breiter als die andere und alle so 
schnurgerade, daß man in Haarbreite eine Büchsenkugel an jeder 
hinschießen könnte; vor allem aber, wie brav und wacker er ist, welch 
ein Herz in ihm steckt; ja, das weiß er sicher, der wird dem uralten, 
unbefleckten Namen seiner Familie keine Schande machen. „Na 
ade Kinners, seht to, dat jy't got kriegt,“ ruft er zum Wschiede. 
„Ade, Herr,“ ruft der Großknecht zurück. So verläßt er seinen Acker, 
sich wieder dem Dorfe zuwendend. 
Zwölf Uhr ist in jedem Hause stehende Essenszeit. Seit einer 
halben Stunde sind auch die Pflüger heimgekehrt, und eifrig wühlen 
die Pferde in den vollen Krippen. Von den Lippen einer Magd 
ertönt abermals hell der herzerfreuende Ruf: „Rinkamen! — Wat 
eten!“ — Alles eilt an den Soot (Brunnen), Hände und Gesicht zu 
waschen, dann in die Gesindestube, wo auf blanker, mächtiger Zinn— 
schüssel ein wahrer Berg von „Klütjen“ (Klößen), Kartoffeln und 
Wurzeln und dabei auf einer andern Schüssel ein paar dicke, leckere 
Speckstreifen dampfen. Der Großknecht führt wie immer den Vor— 
sitz, schneidet Brot und teilt den Speck, ihm zunächst sitzt der zweite
	        
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