Object: Die vorchristliche Kulturwelt (Hauptteil 1)

I. Der Krieg 
erste Überraschung: der Kaiser legt die Thronrede weg und spricht frei: er¬ 
kennt jetzt nur Deutsche ohne Unterschied des Standes, der Partei und der 
Konfession, und darum fordert er die Vorsitzenden der Fraktionen auf, ihm 
dies Gelöbnis für „Not und Tod" in die pand abzulegen. Ganz und gar 
unzeremoniell, kein Minister wußte etwas hiervon: aber rührend und er¬ 
greifend die spontane Huldigung. Kaum ist sie beendigt, so stimmt der Reichs¬ 
tag — ebenso unzeremoniell — die Nationalhymne: peil Dir im Sieger¬ 
kranz! an, und das puldigungslied der Treue rauscht durch den Saal, der 
sonst höfischen Festen dient. Die ganze Welt hätte Zeuge dieser einzigartigen 
Handlung sein müssen. Unter stets sich wiederholendem purra verließ der 
Kaiser den Saal, nachdem er den: Generalstabschef und dem Reichskanzler 
die pand gedrückt hatte. 
Tine Stunde später war iur Reichstage die erste Sitzung; einige und rasche 
Arbeit hatte der Kaiser erbeten. Und er sollte sich nicht täuschen: keine langen 
Geschäftsordnungsformalien, einmütig wurde das seitherige Präsidium 
wiedergewählt, das am Schlüsse der Frühjahrssession sein Tnde gefunden 
hatte. Dies war der Auftakt zum schnellen handeln. Vor überfülltem pause 
entwickelt der Reichskanzler die Bemühungen der Regierung um Aufrecht- 
erhaltung des Friedens, klar und wahr; er gibt die Tatsachen nackt wieder, 
die Rußlands Treulosigkeit so wichtig in Erscheinung treten lassen und recht¬ 
fertigt den uns aufgenötigten Verteidigungskrieg, wie schon in der Thron¬ 
rede, so fällt auch hier kein verletzendes Wort gegen eine Nation, auch nicht 
gegen den Feind. Der Kanzler spricht mit eiserner Wucht, und wie er in den 
Saal ruft, daß das ganze Volk einig sei, das ganze Volk, da duldet es die 
Abgeordneten nicht mehr auf den Sitzen; sie springen auf und klatschen in 
die pände; auch die Sozialdemokraten erheben sich, erst einige, dann werden 
alle mit emxorgerissen: Bundesrat, Reichstag, Presse, Diplomatie, Tri¬ 
bünen; sie alle klatschen, ob dieser eisernen Geschlossenheit. „Das Volk steht 
auf, der Sturm bricht los." Pier war ein Ausschnitt aus unserer Volksstim¬ 
mung zu sehen. Der Präsident rügt nicht das in der Geschäftsordnung ver¬ 
botene Klatschen; er selbst wird nun der einzige Dolmetsch des pauses und 
verkündet dessen einmütige Zustimmung. Kein anderer Redner, keine 
Debatte, wozu Worte, wo jetzt Taten sprechen sollen. 
Nach einer kurzen Pause beginnt die geschäftliche Sitzung: ^6 Kriegs¬ 
vorlagen sind eingegangen. An der Spitze steht die Forderung der Kriegs¬ 
kredite in pöhe von fünf Milliarden Mark: eine stolze Summe des Opfermuts 
ohne Grenzen. Der Führer der Sozialdemokratie gibt eine Erklärung ab, 
worin er die Zustimmung seiner Partei rechtfertigt gegenüber der vorher 
ablehnenden paltung gegen die Forderungen von Peer und Flotte. Keine 
andere Partei hat etwas zu sagen. Zn Sturmeseile werden alle Vorlagen 
ohne Debatte angenommen. Nach 5 Uhr ist der Reichstag schon vertagt, 
seine Mitglieder reisten andern Tags schon mit Militärzügen in die peimat 
zurück, zu melden, was die Volksvertretung an einem Tage geschaffen hat. 
Um ? Uhr dankt der Kaiser dem Reichstagspräsidium für diese nationale 
Urbeit; in später Abendstunde noch werden alle Gesetze publiziert — dem 
Volke zur Beruhigung, zur Freude, zürn Stolz. 
Staatsbürger!. Belehrungen in der Kriegszeit. „
	        
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