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VI. Das große Jahrhundert der deutschen Dichtung.
Friedrich Leopold Graf von Stolberg,
geboren 1750 zu Bramstedt in Holstein, Mitbegründer des Hainbundes, 1789 dänischer
Gesandter in Berlin, 1791 Präsident zu Eutin. 1800 trat er mit den Seinen zur
katholischen Kirche über und starb 1819 auf seinem Gute Sondermühlen bei Osnabrück.
80. Andenken an Matthias Claudius.
Der Bote ging in schlichtem Gewand,
Mit geschällem Stab in der biedern Hand;
Ging forschend wohl auf und forschend wohl ab,
Von der Wiege des Menschen bis an sein Grab.
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2. Er sprach bei den Frommen gar freundlich ein,
Bat freundlich die andern, auch fromm zu sein;
Und sah'n sie sein redliches, ernstes Gesicht,
So zürnten auch selbst die Toren ihm nicht.
3. Doch wußten nur wenige, denen er hold,
Daß im hölzernen Stabe gediegenes Gold;
Daß heimliche Kraft in dem hölzernen Stab,
Zu erhellen mit Lichte des Himmels das Grab.
1. Nun ruhet er selbst in der kühlen Gruft,
Bis die Stimme des hehren Erweckers ihn ruft.
O, gönnet ihm Ruh' in dem heil'gen Schrein
Und sammelt die Ernten des Säemanns ein!
5. Er säte das Wort, und sein Leben war Frucht;
Er führte lächelnd zu heiliger Zucht.
O, spendet ihm Blumen aufs einsame Grab
Und schauet getrost in die Ruhstätt' hinab!
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81. An das Meer.
777.)
1. Du heiliges und weites Meer,
Wie ist dein Anblick mir so hehr!
Sei mir im frühen Strahl gegrüßt,
Der zitternd deine Lippen küßt!
2. Wohl mir, daß ich, mit dir ver—
traut,
Viel tausendmal dich angeschaut!
Es kehrte jedesmal mein Blick
Mit innigem Gefühl zurück.
3. Ich lausche dir mit trunknem Ohr,
Es steigt mein Geist mit dir empor,
Und senket sich mit dir hinab
In der Natur geheimes Grab.
4. Wann sich zu dir die Sonne neigt,
Errötend in dein Lager steigt,
Dann tönet deiner Wogen Klang
Der müden Erde Wiegensang.