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kauft er dem Nachbar die Mühle nicht ab und läßt sie niederreißen?" Der König
wußte, warum. Denn eines Tages ließ er den Müller zu sich rufen. „Ihr begreift,"
sagte er zu ihm, „daß wir zwei nicht neben einander bestehen können. Einer muß
weichen. Was gebt Ihr mir für mein Schlößlein?" — Der Müller sagte: „Wie
hoch haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar?" Der König erwiederte ihm: „Wun¬
derlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, daß Ihr mir mein Schloß abkaufen
könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?" Der Müller erwiederte: „Gnädiger
Herr, so habt auch Ihr nicht so viel Geld, daß Ihr mir meine Mühle abkaufen
könnt. Sie ist mir nicht feil." Der König that zwar ein Gebot, auch das zweite
und dritte, aber der Nachbar blieb bei seiner Rede. „Sie ist mir nicht feil. Wie
ich darin geboren bin," sagte er, „so will ich darin sterben, und wie sie mir von
meinen Vätern erhalten worden ist, so sollen sie meine Nachkommen von mir er¬
halten und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren ererben." Da nahm der König
eine ernsthaftere Sprache an: „Wißt Ihr auch, guter Mann, daß ich gar nicht
nöthig habe, viel Worte zu machen? Ich laste Eure Mühle taxiren und breche sie
ab. Nehmt alsdann das Geld, oder nehmt es nicht!" Da lächelte der unerschrockene
Mann, der Müller, und erwiederte dem König: „Gut gesagt, allergnädigster Herr,
wenn nur das Hofgericht in Berlin nicht wäre." Nämlich, daß er es wolle auf
einen richterlichen Ausspruch ankommen lasten. Der König war ein gerechter Herr
und konnte überaus gnädig sein, also daß ihm die Herzhaftigkeit und Freimüthig¬
keit einer Rede nicht mißfällig war, sondern wohl gefiel. Denn er ließ von dieser
Zeit an den Müller unangefochten und unterhielt fortwährend mit ihm eine fried¬
liche Nachbarschaft. Der geneigte Leser aber darf schon ein wenig Respekt haben
vor einem solchen Nachbar, und noch mehr vor einem solchen Herrn Nachbar.
Heb el.
s/ 26. Das Ei des Columbus.
Bei einem Feste, welches der Cardinal Mendoza dem Admiral (Columbus)
zu Ehren veranstaltete, hielt er ihm eine große Lobrede wegen der von ihm gemachten
Entdeckung, welche er den größten Sieg nannte, den jemals der Geist eines ein¬
zigen Mannes erfochten habe. Die anwesenden Herren vom Hofe nahmen es
übel auf, daß einem Ausländer, noch dazu einem Manne, der nicht einmal von
nobler Herkunft sei, so große Auszeichnung erwiesen würde. „Mich dünkt," hub einer
der königlichen Kammerherren an, „der Weg nach der sogenannten neuen Welt war nicht
so schwer zu finden, der Ocean stand überall offen, und kein spanischer Seefahrer
würde den Weg verfehlt haben." Mit vornehmem Gelächter, hinter welches sich so
gern die Dummheit verbirgt, gab die Gesellschaft dieser Aeußerung ihren Beifall zu
erkennen, und mehrere Stimmen riefen: „O, das hätte ein jeder von uns gekonnt!"
Ich bin weit entfernt," entgegnete Columbus, „mir etwas als Ruhm an¬
zumaßen, was ich nur einer gnädigen Fügung des Himmels zuschreiben darf; in¬
dessen kommt es doch bei vielen Dingen in der Welt, welche uns leicht auszufüh¬
ren scheinen, oft nur darauf an, daß sie ein anderer uns vormacht. Dürft' ich,"
sagte Columbus zu jenem Kammerherrn gewendet, „Ew. Excellenz wohl ersuchen,
dies Ei" — er hatte sich von einem Diener ein Hühnerei bringen lassen — „so
Remacly, Lesebuch I. 2. Aufl. 9