Full text: Geschichte des Mittelalters und der Reformationszeit (Teil 8)

230 Die Neuzeit. 
den Fremden, ihren Einfluß zu vergrößern, die Deutschen ihrem Vorteil 
dienstbar zu machen, in den einen von ihnen Bundesgenossen gegen die 
anderen zu gewinnen. 
3. Die einzelnen Stände und Erwerbsklafsen. a. Bauernstand und 
Landwirtschaft. Am meisten hatte der Bauer leiden müssen. Das Zug- 
und Nutzvieh war fast ganz vernichtet, die Flur weithin mit Gestrüpp 
bewachsen, die Wiese verschlammt, Haus und Hof ganz zerstört oder in 
zerfallenem Zustande. Tausende heimatlos gewordener Landleute hausten 
im Wald oder Sumpf. Dazu kam, daß viele entlassene Soldaten im Lande 
umherstreiften, daß infolge des argen Menschenverlustes Arbeitermangel ein- 
getreten war, und bei dem Zurückgehen der Städte, die ehedem gute Ab- 
nehmer der ländlichen Erzeugnisse gewesen waren, der Absatz fehlte. Wäh- 
rend die schwer verschuldeten Reichsritter durch kaiserliche „Moratorien" 
(Zahlungsaufschiebungen) Beistand erlangten, wurde das Los der Bauernschaft 
noch verschlechtert. Denn der Staat forderte neue, sich für und für 
steigernde Abgaben, dazu Stellung von junger Mannschaft, der Grundherr 
plagte sie durch Willkür aller Art, z. B. durch Erhöhung der Zinse, Ver- 
mehrung der Fronen, durch das Jagdwesen; ja, östlich der Elbe und des 
Böhmer Waldes drückte er sie bis in die Leibeigenschaft hinab. 
Die Grund- (Schott seit der Wende des 16. Jahrhunderts auf landwirtschaftlichen 
Herrschaften. Großbetrieb bedacht, arbeiteten die Ritter nun mit den Landesherren und 
den grundbesitzenden Städten aufs eifrigste an der Herstellung großer Herr- 
fchaften. Hierzu bedurften sie größeren Landbesitzes und billiger, zahlreicher 
Arbeitskräfte. Unter rücksichtsloser Anwendung der von den Fürsten er- 
wordenen obrigkeitlichen Befugnisse und Gerechtsame zogen sie erledigte 
Bauernstellen ein oder bemächtigten sich meist mit Erlaubnis der Landes- 
regierung herrenlos gewordenen Landes, „legten" mutwillige Bauern und 
zwangen andere zum Verkauf. Ferner wurden den Bauern größere Spann- 
dienste, den Kätnern, Büdnern und Häuslern umfangreichere Handdienste auf- 
erlegt, und für die herangewachsenen Kinder der Bauern wurde der Gesinde- 
zwang eingeführt. Die Erbzinsbauern des alten ostelbischen Neulandes 
wurden meistens zu Lassiten^) herabgedrückt, allen aber das Recht der 
Freizügigkeit ganz genommen. Die Bauernschaft von Ostholstein bis Ost- 
Preußen und von Osterreich (außer Niederschlesien) war auf solche Weise 
schon vor 1700 in den Zustand der gelinderen Leibeigenschaft gebracht. 
Die kleinen Leute, Büdner, Häusler u. f. w. mußte aber der Gutsherr 
wie die Insten, die Arbeiter, im Falle der Arbeitsunfähigkeit versorgen. 
Die üble Lage der Bauern artete an einigen Orten in Ostholstein, Mecklen- 
bürg und Vorpommern zu wirklicher Leibeigenschaft aus. 
Etwas geringerer b. Die Städte, Handel und Gewerbe. Im allgemeinen war der Ver- 
Verlust £at^auf tuft ber Städte etwas geringer als der des platten Landes. Die drei Hanfe- 
städte waren vor den schlimmsten Schicksalsschlägen verschont geblieben. 
1) Der Lassit hat fremden Grund und Boden in erblicher oder nichterblicher 
Nutzuna, wofür er Zins zu zahlen und Dienste zu leisten hat; bte Erblichkeit wird 
oft in Pacht, also in ein kündbares Verhältnis, verschlechtert. Nahm der Grundherr 
die eingezogenen Wüstungen nicht selbst in Bearbeitung, so stattete er herbeigeholte 
Leute als Lassiten aus.
	        
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