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Das Zeitalter der ständischen Gegensätze 1273 — 1519.
die Pariser Universität, deren Wortführer den Satz verfochten, daß
ein allgemeines Konzil über dem Papsttum stehe.
Forderung Während diese Strömung eine Änderung der kirchlichen Ver-
bbc/sSem fassung verlangte, wurde von andrer Seite her die kirchliche Lehre.
das Dogma, angegriffen. Der Engländer John Wiclif, der um
die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts an der Oxforder Universität
lehrte, forderte die Reinigung der Kirchenlehre auf Grund der heiligen
Schrift, bekämpfte die päpstliche Gewalt, die Lehre von der Transsub-
stantiation, das Cölibat, die Ohrenbeichte. Seine Lehren eignete sich
Joh. H»ß. der Böhme Johannes Huß an, theologischer Lehrer an der Prager
Universität und zugleich Prediger. In ihm vereinigten sich die Ge¬
danken der kirchlichen Opposition mit denen der nationalen Gegnerschaft
des Tschechentums gegen das Deutschtum. Unter dem Einfluß dieser
Bestrebungen stieß Wenzel die Verfassung der Prager Universität um
(vgl. § 93), indem er der böhmischen Nation drei, den übrigen
Nationen nur eine Stimme zuwies; was zur Folge hatte, daß die
deutschen Professoren und Studenten auswanderten und die Univer-
1409. sität Leipzig gegründet wurde. Über Huß wurde einige Jahre später
vom Papst der Bann ausgesprochen.
Konzil Um die Kirchenspaltung zu beendigen, um eine Reform der
Kirche an Haupt und Gliedern herbeizuführen, um endlich über Huß
zu entscheiden, trat unter dem Schutze Sigismunds das Konzil
von Konstanz zusammen, wohl der glänzendste Kongreß geistlicher
Belehnun» und weltlicher Fürsten des Mittelalters; gleichzeitig tagte in Konstanz
»MKS ein deutscher Reichstag, der dadurch bemerkenswert ist, daß 1415
k 1415. die Mark Brandenburg an Friedrich VI. von Nürnberg, der
bereits 1411 von Sigismund als „vollmächtiger, gemeiner Verweser
und obrister Hauptmann" dorthin geschickt worden war, übertragen
18.Html 1417. wurde, worauf er am 18. April 1417 die feierliche Belehnung
erhielt.
Huß' Huß hatte sich unter kaiserlichem Geleit nach Konstanz begeben;
Verbrennung tr0^em wurde et, da er sich weigerte zu widerrufen, als Ketzer ver-
Ende brannt. Um die Kirchenspaltung zu beseitigen, forderte das Konzil
bfpaftu?gn= sämtliche drei Päpste zum Verzicht auf ihre Würde auf. Johann XXIII.,
ein Mensch von dunkler Vergangenheit, der einzige Papst, der zugegen
war, dankte zwar ab, verließ aber bald darauf flüchtig das Konzil;
doch wurde er nunmehr abgesetzt und sein Verbündeter Herzog Friedrich
von Tirol („mit der leeren Tasche") geächtet; letzterer verlor damals
den größten Teil der linksrheinischen Besitzungen des Hauses Habs-
bürg an die Eidgenossen. Sigismund und mit ihm die germanischen
Nationen, die Deutschen und Engländer, wünschten nun die Erledi-
gung der Kirchenreform, ehe ein neuer Papst gewählt würde; doch
gelang es den romanischen Nationen, den Italienern, Franzosen und