Übersichten zur Staats- und Wirtschaftskunde.
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Die sozialistischen Systeme (Lassalle, Marx) gehen von der
Thatsache aus, daß sich diese Harmonie der wirtschaftlichen Einzel-
interessen nicht ergeben hat, und fordern Beseitigung des indivi¬
duellen Wettbewerbs und der individualistischen, „anarchischen"
Produktion durch Überführung der Produktionsmittel in den All-
gemeinbesitz der Gesellschaft, d.h. Aufhebung des Privateigentums,
der freien Berufswahl, der freien Arbeit. Marx, der geistige
Vater der modernen Sozialdemokratie, glaubt erwarten zu dürfen,
daß die fortschreitende kapitalistische Entwicklung von selbst eine
sozialistische Staats - und Gesellschaftsordnung heraufführen wird.
Die vermittelnde sozialpolitische Richtung, als deren
größter Vertreter in der Praxis Fürst Bismarck erscheint, erkennt,
gegenüber den Lehren der Sozialdemokratie, Eigentum und freie
wirtschaftliche Bethätigung des Individuums als von der fitt-
lichen Natur des Menschen gefordert an, spricht aber dem Staat
das Recht und die Pflicht zu, zum Schutze der wirtschaftlich
Schwachen und zur Förderung ihrer Wohlfahrt in das Wirt-
schastsleben durch Zwangsmaßregeln einzugreifen. Den Lehren
der Freihändler gegenüber erklärt sie die Förderung der natio-
nalen Produktion, gegebenenfalls ihren Schutz gegen übermäßigen
fremden Wettbewerb, für die Aufgabe einer nationalen Wirt-
schastspolitik.
Halle a. S., Buchdruckerei des Waisenhauses.