407
Danach kann es auch nicht auffällig erscheinen, wenn der Ge¬
schichtschreiber Tacitus schon genauer den Fundort und die Natur der
von seinen Landsleuten so hoch geschätzten Ware kennt. „Auch das Meer
erforschen die Germanen", heißt es an einer merkwürdigen Stelle seiner
Schrift über die Deutschen, „und sie gewinnen allein von allen Völkern
der Erde sowohl an seichten Stellen aus dem Meere, als auf dem
Strande den Bernstein, den sie selbst Glesum nennen; sie wissen aber
nicht und fragen bei ihrer geringen Bildung auch nicht danach, welches
seine Natur oder sein Ursprung sei; ja lange lag er unter dem Auswurf
des Meeres unbenutzt, bis unsere Üppigkeit ihm Namen und Ruf ge¬
geben hat. Sie selbst machen keinen Gebrauch von dem Bernstein;
roh, wie er gesammelt wird, und ungeformt geht er weiter; staunend
nehmen sie die Bezahlung. Der Bernstein kann jedoch, wie man leicht
erkennt, nichts anderes als ein Baumsaft sein, weil gewisse Landtiere
und sogar auch geflügelte, sehr häufig in ihm deutlich zu sehen sind, die
von dem noch flüssigen Safte eingehüllt, dann aber in die erstarrende
Masse eingeschlossen wurden. Ich mutz daher annehmen, datz jene west¬
lichen Länder und Inseln sehr üppige Wälder und Haine tragen, die
ebenso wie in den geheimnisvollen Stätten des Orients Weihrauch
und Balsam ausschwitzen. Die Strahlen der nahen Sonne mögen diesen
Saft heraustreiben, und die Flüssigkeit mag dann in das nahe Meer
herabträufeln, von wo sie durch Stwrme an die gegenüberliegende üüste
gelangt. Untersucht man die Eigenschaften des Bernsteins int Feuer,
so entzündet er sich wie eine Fackel und zeigt eine rutzige und duftende
Flamme, woraus er wie Pech und Harz zerfließt."
Nach Untergang des Römerreichs tritt Byzanz die Erbschaft an, um
bald den Arabern Platz zu machen, deren Rastorte von Süden bis
Polen und Preußen durch zahlreiche Münzen und Schmucksachen gekenn¬
zeichnet sind. Wie wunderbar es auch erscheinen mag, lange Zeit hatte
der Bernstein die Ostsee zu einem arabischen Handelsmeer gemacht.
Noch lebhafter und sicherer wurde der Verkehr, als die deutschen
Ritter ihren Ordensstaat gründeten und eine mehr geregelte Gewinnung
des Bernsteins einführten (1264). Sie fetzten eigene Vernsteinmeister
und Strandknechte ein, die das Auflesen und Schöpfen des Steines
sowie dessen Ablieferung zu überwachen hatten, unterhielten eigene Bern¬
steinlager in Lübeck, Brügge, Wismar und Venedig und gestatteten
niemand, Bernstein zu behalten und auf eigene Rechnung zu vertreiben,
ja kein Bernsteindreher durfte sich in Preußen niederlassen. Femknechte