140 Das Zeitalter der religiösen Kiimvfe. 1519 -1648.
Vorbild gewesen in der wirtschaftlichen Bodennutzung, hatte die wissen¬
schaftlichen Studien und den wissenschaftlichen Unterricht gepflegt, sie hatte
Kunst und Kunsthandwerk gefördert und entwickelt. Aber wie sie das Leben
I /j ^ . ,1. ■ itXj, des Menschen von der Wiege bis zum Grabe in ihre Obhut nahm, so wollte
:— sie es auch leiten und beherrschen. Als eine Herrin ordnete sie nicht
|||j: filhi ' iüur das religiöse Empfinden und Glauben; sie beherrschte nicht minder das
fl geistige Leben: das wissenschaftliche Denken, vor allem die scholastische
i Philosophie, stand ebenso wie die Phantasie des Künstlers in ihrem Dienst.
Insbesondere dem Staat gegenüber erhob sie den Anspruch, ihn zu be¬
herrschen; und indem sie sich mit dem Fürstentum im Kampfe gegen das
Kaisertum verband, hat sie mit dazu beigetragen, den politischen Zu¬
sammenhalt der deutschen Nation zu zerstören. Andererseits war ein
großer Teil des Klerus, seit die Kirche die Weltherrschaft gewonnen hatte,
stark verweltlicht: die äußeren Interessen der Macht und der Finanzen
waren immer wichtiger geworden; das kirchliche Leben wurde veräußerlicht,
z. B. das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Buße durch die Aus¬
bildung des Ablaßwesens vielfach abgeschwächt; das ungeistliche Leben
eines Teiles der Geistlichkeit, u. a. auch mancher Päpste, gab zu berechtig-
JiJjjM tem Tadel Anlaß.
^Neuzei?" ®em Mittelalter gegenüber wird die Neuzeit durch ein Doppeltes
gekennzeichnet. Es ist einerseits das Bestreben, die Staatsgewalt
Der moderne von dem hemmenden Einfluß der mittelalterlichen Bildungen zu befreien,
ihr zur Herrschaft zu verhelfen und ihre Wirksamkeit über immer weitere
Gebiete auszudehnen; so hat die Neuzeit den nationalen Kultur-
staat geschaffen, zunächst in der Form des Absolutismus. Es ist anderer-
Individuum* skits das Bestreben, das Individuum von den es umgebenden
Schranken zu befreien, ihm zur Freiheit des religiösen Glaubens, des sitt¬
lichen Handelns, des wissenschaftlichen Denkens und künstlerischen Schaffens,
endlich des wirtschaftlichen Erwerbs, kurz zur Entfaltung einer freien
Persönlichkeit zu verhelfen. Dieser individualistische Charakter
der neuen Zeit hat zeitweise zu Ausbrüchen eines ungezügelten Subjektivis¬
mus geführt, der keine objektiven Gesetze für sein Denken und Handeln
anerkennen wollte; auf der anderen Seite aber entwuchs ihm die Refor¬
mation, die Entstehung der modernen Wissenschaft, die voraus¬
setzungslos an die Erforschung des Natur- und Geisteslebens heranzutreten
suchte, endlich auch die Entstehung der modernen K u n st.
Zur Ausdehnung der Bildung aber auf weite Volksschichten hat eine
Buchdrucker- Erfindung des 15. Jahrhunderts in ungeheurem Maße beigetragen: die
kunstum Erfindung der Kunst des Buchdrucks mit beweglichen, metallenen