Full text: Lesebuch zur Geschichte des 19. Jahrhunderts

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in wildem Laufe davon. Ich mußte nun den Dienst zu Fuße verrichten. 
Indessen nutzte es in einem Straßengefechte dem Stabsoffizier nichts, be¬ 
ritten zu sein, und setzte ihn nur größerer Gefahr aus. Die vielen in 
Leipzig gebliebenen und verwundeten Stabsoffiziere beweisen dies, viel¬ 
leicht habe ich dem Verluste meines Pferdes meine (Erhaltung zu danken. 
vorwärts zu kommen, war nicht möglich, Stehenbleiben unfehlbares 
verderben, und dem Ziele so nah, zog jeder den Tod einem Rückzüge vor. 
Die Hot und Gefahr wuchs mit jedem Augenblicke. (Endlich entdeckte 
Gäsebeck (Adjutant von Friccius) eine schwache Stelle in der Mauer, rechts 
zwischen den Pfosten des Tores und dem Armenhaufe. Ich ergriff das 
Gewehr des nächsten Landwehrmannes und stieß mit dem Kolben die dünne 
Mauer ein. Sie stürzte schnell zusammen, da mehrere Landwehrmänner 
kräftig dabei halfen. Hls die Öffnung groß genug war, sprang ich durch 
die selbst gelegte Bresche und rief den ITT einigen zu: „Ihr werdet mich 
nicht verlassen!" 
vor mir war schon ein kleiner behender Landwehrmann, Gottlieb 
ITtaluga, mir unter den Händen durchgeschlüpft. (Er erhielt dabei durch 
einen Bajonettstich eine heftig blutende Wunde im Gesicht. 
Da wir in Kolonne gegen das Tor vorgerückt waren, so befanden sich 
die Offiziere der zweiten Kompagnie, Hauptmann Zieten und Leutnant 
Klebs I., und die der dritten Kompagnie, Hauptmann ITtotherbr) und Leut¬ 
nant Stumpf, vorn und in meiner Nähe. Ruf meinen Zuruf sprang ITtotherbr) 
vor und rief, den Säbel hochhaltend: „Kameraden, folgt mir!" 
(Er wurde aber sogleich dicht hinter mir, als er die Bresche besteigen 
wollte, von einer Kugel in den Kopf getroffen und sank seinem Freunde 
Stumpf tot in die Arme, jfeder fühlte den Schuß mit. (Er war die Zierde 
und der Stolz des Bataillons, und niemand kam ihm an Adel und Reinheit 
der Gesinnung gleich. (Er war das Muster eines Landmehrmannes, der 
friedlichste und genügsamste Bürger, der gewissenhafteste Geschäftsmann, 
der treuefte und liebenswürdigste Gefährte, der entschlossenste Soldat. Un¬ 
bemerkt und unbewußt zog er alle Gemüter an sich und verbreitete durch 
sein Beispiel die segensreichsten Folgen. (Er hat gelebt für alle Zeiten. 
Stumpf küßte unter Tränen die erblaßte Wange, drückte sie an sein 
herz und eilte mir mit vielen andern nach, um sich an die Spitze der ver¬ 
waisten Kompagnie zu stellen, welche den Verlust des seltenen und edlen 
Mannes am tiefsten und schwersten empfand. Ieder wollte den geliebten 
Führer rächen, es ihm gleichtun im Leben und im Tode. Wer nur irgend 
konnte, machte sich Bahn durch alle Hindernisse, niemand wollte zurück- 
bleiben, jeder der vorderste sein. 
(Entzückt über unser schnelles (Einbringen, äußerte der Prinz (von 
hessen-homburg): „Wahrlich, bie Lanbroehr erwirbt sich heute einen großen 
Ruhm unb übertrifft manche Linientruppen," wobei er nach Tirailleuren 
des (Kolbergfchen) Linienregiments hinsah, die noch immer an der Mauer 
standen, ohne mit uns gemeinschaftliche Sache zu machen, oder nach unserem 
Beispiele, was das beste gewesen wäre, die Kirchhofsmauer einzuschlagen 
und dort durchzudringen, und gab uns Zeichen des Beifalls.
	        
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