Full text: Lesebuch zur Geschichte des 19. Jahrhunderts

I 
Einführung in das XIX. Jahrhundert. 
Mirabeau über die preußische Monarchie. 1787. 
G. H. de Mirabeau, De la Monarchie prussienne. 3eito 1790/91. 
Die preußische Monarchie verdient an sich die Teilnahme jedes denkenden 
Menschen.- sie ist ein schönes und großes Kunstwerk, an welchem geniale 
Künstler Jahrhunderte hindurch gebaut haben? sie hat treffliche Linrich- 
tungen; der Geist der Ordnung und der Regelmäßigkeit ist ihr innewohnend; 
Denkfreiheit und religiöse Duldung sind herrschend; bürgerliche Freiheit 
ist hier beinahe so weit gewährt, als es in einem der unumschränkten Herr- 
schaft eines Einzigen unterworfenen Lande möglich ist, in welchem die 
Überreste der Barbaren noch einen großen Teil des Bauernstandes zur 
Knechtschaft (Leibeigenschaft und Hörigkeit) verurteilen. Sie besitzt ein 
Militärsystem, welches nur weniger Veränderungen bedarf, um ein voll¬ 
kommenes zu sein; sie hat endlich dem gesamten (Europa das Beispiel einer 
Gesetzgebung aufgestellt, dem noch feine andere sich nähert. Mit dem 
Untergange Preußens würden alle diese Wohltaten schwinden und in Der- 
gessenheit geraten, die Regierungskunst vielleicht in ihre Kindheit zurück¬ 
sallen. Und wie für die Menschheit, wie für ganz (Europa, so würde der 
Fall Preußens besonders für Frankreich einen unersetzlichen Verlust bringen; 
denn er würde ganz Deutschland der Herrschaft Österreichs überliefern, 
welches nach seiner ganzen (Eigentümlichkeit des inneren geistigen Berufes 
für dieselbe entbehrt. Dennoch ist diese Herrschaft das Ziel, welches der 
Kaiser bei allen seinen Plänen vor Rügen hat und welches er trotz aller 
Fehler, die er begeht, erreichen muß, wenn nichts geschieht, den natür¬ 
lichen Druck der Massen zu vermindern und die Überlegenheit aufzuwiegen, 
welche ein Reich mit 20 bis 30 Millionen (Einwohnern über einen Staat 
von 5 bis 6 Millionen besitzt, nachdem das (Oberhaupt jenes Reiches 
an dem Beispiele Friedrichs gelernt hat, von den ihm zu Gebote stehenden 
Mitteln einen andern Gebrauch als seine Vorgänger zu machen. IVas 
ist aber zu tun, um den bevorstehenden Stoß abzuwenden? — 
nichts erscheint naturgemäßer und klüger, solange der jetzige Stand 
der europäischen Verhältnisse dauert, als das festeste und aufrichtigste 
Verteidigungsbündnis aller benachbarten Mächte Deutschlands mit dem Ober» 
Haupte des Hauses Brandenburg, um nicht nur für dessen eigene Besitzungen, 
sondern auch für die andern deutschen Staaten gewährleisten. Der von 
Friedrich II. errichtete deutsche Fürstenbund ist in dieser Beziehung ein 
Meisterstück; aber damit er von Wirkung sei, müssen diese Fürsten unter 
den Waffen bleiben, sie müssen entschlossen sein, beim (Eintritte der Gefahr 
ihrem Beschützer zur Seite zu treten. — Preußen selbst soll die Kaiser- 
kröne nicht erstreben, es soll sich die schöne Rolle des Wächters der Frei» 
©all u. Müller, Lesebuch zur Gesch. d. 19. Jahrh. 1
	        
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