Contents: Lesebuch zur Geschichte des 19. Jahrhunderts

— 309 — 
des Dramas, und überall wird man Züge entdecken, die unsere Betrachtung 
bestätigen, bis herab zum Plakat an der Säule, das nicht mehr mit der 
ideellen Wirkung auf die Vorstellung, sondern mit der psychophqsischen 
Wirkung auf das Nervensystem rechnet. — 
5. Und nun das neue Jahrhundert, was wird es uns bringen? Wenn 
es dem Philosophen gestattet ist, mit einem Wunsch statt einer Prophezeiung 
zu antworten, so sei es dieser. Das letzte Drittel des vergangenen Iahr- 
Hunderts hat dem deutschen Volk das Reich, dem Geist einen Leib gegeben. 
Das war notwendig, die Erde ist nicht für reine Geister, auch der Volksgeist 
bedarf der Verkörperung, um sich zu erhalten; er findet sie im Staat. 
Möge das neue Jahrhundert nun auch dem deutschen Geist frisches Wachs- 
tum bringen, nachdem es, wie es auch im Individualleben vorkommt, durch 
das plötzlich nachgeholte physische Wachstum zeitweise etwas gehemmt zu 
sein schien. Wohl sind Macht und Ausdehnung einem Volke notwendig, 
Stehenbleiben bedeutet unter wachsenden Völkern Zurückgehen. Hb er zuletzt 
ist es doch nicht die Masse und die äußere Macht, die den Völkern ihren 
Hang in der Geschichte bestimmen. Das Volk Israel und das Volk der 
Hellenen war, äußerlich betrachtet, klein und gering unter den Völkern der 
Erde, und auch von ihren Kriegstaten weiß die Geschichte nur bescheidene 
Dinge zu melden: dennoch sind es Völker ersten Hanges, ihre religiösen 
Ideen, ihre philosophischen Gedanken, ihre Schöpfungen in der Welt der 
reinen Formen sind noch heute wirkende Kräfte im Leben der Menschheit. 
Macht ohne Ideen, das ergibt leere Größe, ergibt jenes Bild auf tönernen 
Fußen, von dem beim Propheten Daniel zu lesen ist. Macht im Dienst von 
Ideen, das ergibt wirklich Kraft und dauerndes Leben. 
Möge es einem Nachfolger, der nach 100 Jahren den Ertrag des 
20. Jahrhunderts überschlägt, gestattet sein, zu sagen, die Geschichte des 
deutschen Volkes zeige ihm eine glückliche Verbindung äußeren und inneren 
Wachstums; die seltene Synthese: Macht im Dienst von Ideen!
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.